17/1 Und die PatientInnen?
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 18:47 |
Als ich noch beim Kinderhilfswerk Terre des hommes im Stiftungsrat sass, hatten wir ein altgedientes Mitglied. Es pflegte – wie weiland im historischen Rom Cato der Ältere mit seinem unverzichtbaren Ceterum censeo Carthaginem esse delendam – jede Diskussion über geplante Investitionen, neue Strategien oder finanzpolitische Perspektiven ultimativ zu beenden mit der Frage: And what about the Children?
Und was ist mit den Kindern? – Analog war ich heute versucht, die Frage zu formulieren: What about the Patients?
Es war an sich eine interessante Veranstaltung: über 250 hochkarätige VertreterInnen aller Berufsgattungen und Funktionen aus dem Gesundheitswesen hörten sich im noblen Ambiente des Berner Hotels Bellevue eine Reihe von Vorträgen und Debatten an zur Thematik „Neue Rollenverteilung im Gesundheitsbereich – welcher Platz bleibt den Ärzten?“ – Es ging dabei vor allem um die Aufgabenteilung mit bzw. die Einbindung qualifizierter Assistenz-Funktionen in der medizinischen Betreuung. Was braucht es, damit aus der klassischen „Arztgehilfin“ mit eingeschränkter Verantwortung (nach traditionellem Rollenverständnis) eine partnerschaftliche Ergänzung in der Pflege werden kann, welche die Ärzte echt zu entlasten vermag?
Grundsätzliche, ethische, rechtliche Fragen wurden erörtert, Modelle, die sich im Ausland bewährt haben, skizziert. Die Schweiz steht im Vergleich mit den meisten OECD-Staaten punkto medizinischer Versorgung nicht schlecht da. Und doch zeichnen sich infolge der Überalterung und des Überhandnehmens chronischer Erkrankungen neue Bedürfnisse nach medizinischer Betreuung in noch unabsehbarem Ausmass ab. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung (Stichwort: eHealth) völlig neue Perspektiven für die Aufteilung der Verantwortung zwischen dem Medizinpersonal und einer bewussten Patienteschaft.
Das war denn aber auch der einzige konkrete Bezug zu den Erwartungen der PatientInnen (abgesehen von einem eher polit-theoretischen Exkurs aus der Perspektive der gesamteuropäischen Dachorganisation der Patientenorganisationen EPF). Daneben waren all die verschiedenen Ausprägungen der Pflegebedürftigen wie nicht existent im Diskurs.
Sind sie denn nur Statisten, Material in den Händen der Pflegenden, Rohstoff für den Betrieb der Gesundheitsfabriken, ob nun staatlich verordnet oder privat auf Profit getrimmt? Was ist die Stellung der PatientInnen in diesem „Rollenspiel“, das da in Zukunft überdacht und ev. neu organisiert werden soll? Es gab eine Phase, da sagten Vertreter der Krankenkassen, der Patient sei „Kunde“ und es gelte, sich auf die Bedürfnisse der Kunden einzustellen, kondenorientiert zu handeln… Ich habe damals widersprochen: der Patient kann nur so lange als Kunde betrachtet (und behandelt) werden, als er nicht selber krank ist. Wird er krank und braucht er medizinische Betreuung, wechselt sein Status vom Kunden zum Opfer, zum persönlich Betroffenen, der jede Überlegung nach Wirtschaftlichkeit, Zweckmässigkeit, Verhältnismässigkeit einer Therapie über Bord wirft, weil es um sein ureigenes, persönliches Wohlergehen geht (oder um das seiner Liebsten): jetzt klammert er sich an jeden Strohhalm der Hoffnung, will die beste aller möglichen Therapien haben, holt Second und Third Opinions ein, solange noch ein Funke glüht, der Heilung und Überleben verspricht.
Diese Ausgangslage, die m.E. einen wesentlichen Faktor als Kostentreiber im Gesundheitwesen darstellt, kam in der Auslegeordnung zu kurz. Und je ausgefeilter und „besser“ die Grundversorgung ist, umso höher steigen die Anforderungen, die Erwartungen – und die Kosten. Damit werden wir leben müssen, ob mit oder ohne Aufgabenteilung.