26/6 Triumph…
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 22:33 |
Nein, ein Triumph des Willens war es nicht, die Allusion verbietet sich schon vor dem historischen Hintergrund, und mit dem Willen an sich hatte es wenig zu tun, vielmehr war das Wetter günstig und ein gewisser Gruppendruck lieferte den notwendigen Support.
Heute war wieder ein „ausgedehnter Spaziergang“ angesagt und nach den Strapazen der beiden letzten Male war ich so gut wie entschlossen, zu kneifen, einfach nicht an den Start zu gehen und mich hinterher damit herauszureden, es sei mit dem behandelnden Arzt abgesprochen gewesen, was es in einem gewissen Sinne auch war, denn dieser hatte mir tatsächlich eine bewusste Zurückhaltung empfohlen, was das Marschieren betrifft.
Dann aber kam der Termin näher, der Blick aus dem Fenster zeigte einen leicht bewölkten Himmel, noch kein Regen in Sicht, und ich sagte mir, vielleicht gehst du mal zur Besammlung, mit dem Vorbehalt, jederzeit umkehren zu können, wenn es zu viel wird. Ein Deal, der übrigens für alle gilt, die sich noch keine grosse Leistung zutrauen. Und so ging es denn los, anfangs recht zügig und munter, bald machten sich Erschöpfung und Atemnot bemerkbar und ich fiel zurück, zusammen mit einer zweiten Patientin, die zum ersten Mal dabei war. Bei jedem Zwischenstopp erkundigte sich der Trainer nach unserem Befinden und wir kamen stückweise voran, hielten mit, wenn auch als Nachhut, wurden von der Gruppe gleichsam mitgezogen, indem sie uns ermutigte. Bald war der Scheitelpunkt des Ausflugs erreicht, von jetzt an wurde die Strecke zurück wieder kürzer…
Als wir nach einer unglaublichen Marschzeit von fünf Viertelstunden wieder vor der Klinik standen, waren das Halloo und der Zuspruch gross, der Trainer gab mir „fünf“ mit der Hand, lobte unser Durchhaltevermögen, obwohl ich mich innerlich noch nicht damit abgefunden hatte, dass mir ein so simpler Spaziergang von einer guten Stunde nun derart schwer fällt, wo ich doch früher im Militär den 100-Kilometer-Marsch und jene Patrouillenläufe ohne grosse Mühe (wenn auch nicht mit Bravour) bewältigt hatte… so hinfällig ist das Gerüst geworden, die Struktur, der Apparat, dass sein Funktionieren plötzlich nicht mehr selbstverständlich ist.
Den wichtigsten Beitrag lieferte ein Mitpatient, der auch in der Gruppe war, nach dem Mittagessen. Er sagte, während wir uns zu unseren Zimmern begaben: Weisst du, ich habe heute glernt, dass ich mich eigentlich schämen sollte… – Ich schaute ihn fragend an. – Deine Leistung – wenn ich mir vorstelle, dass du ja fast das Doppelte an Gewicht zu schleppen hattest wie ich!