2/8  Dicksein schönreden?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:04

Gut, es geht um Kinder. Es sei heikel, mit Eltern und deren übergewichtigen Sprösslingen über Adipositas zu reden. Viele fühlten sich durch die Formulierungen, welche die Ärzte verwenden, verletzt, vor den Kopf gestossen, diskriminiert. Und die unvorsichtige Wortwahl des medizinischen Personals sei ein wesentlicher Grund dafür, dass die Familien demotiviert werden, sich nicht an die Vorgaben halten oder gar eine Therapie abbrechen und nicht mehr in die Sprechstunde kommen.

Das hat ein Forscherteam an der Universität von Alberta herausgefunden, nach intensiven Gesprächen mit betroffenen Eltern. Sie schlagen vor, dass bei den Konsultationsgesprächen auf  Begriffe verzichtet werden solle, welche für die Kinder und deren Eltern herabsetzend wirken oder als Schuldzuweisung empfunden werden könnten, wie etwa fett, dick, moppelig, übergewichtig oder adipös.

Anstelle dieser Ausdrücke sollten vielmehr neutrale Formulierungen verwendet werden wie gross oder zuviel Gewicht zugelegt. Dies würde die kleinen Patienten und deren Eltern in ihrem Selbstwertgefühl stärken und sie als gleichwertige Partner in die Therapie mit einbeziehen. Gerade Kinder würden sehr sensibel reagieren auf Worte, in denen Hänseleien und Spott aus dem Schulalltag anklingen…

Was ist von einem solch beschönigenden „Korrektsprech“ zu halten? Wenigstens ist hier nicht (mehr) die Rede von einer „politisch korrekten“ Formulierung à la horizontal herausgefordert, wie sie vor Jahren herumgeboten wurde. Ich persönlich bin immer noch der Meinung, man sollte den Dingen ihren korrekten Namen geben, offen sagen, was Sache ist, damit diese Sache auch als solche wahrgenommen werden kann. Gerade im Reden über Adipositas ist die Bereitschaft zum Verdrängen bei den Betroffenen enorm. Dem sollte nicht durch sprachliche Weichspüler noch Vorschub geleistet werden.

Aber vielleicht täusche ich mich. Was meinen Sie?


2 Kommentare zu “Dicksein schönreden?”

  1. Robert sagt:

    Das meine ich auch. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie mich „solche Formulierungen“ ebenfalls unangenehm berührt haben, als ich es über Jahre nicht geschafft habe, mein Gewicht positiv zu beeinflussen – es ist ganz einfach unangenehm, an die eigene Unzulänglichkeit erinnert zu werden.

    Aber es hilft nicht, wenn das vermieden wird. Irgendwo muss Dick-Sein ganz einfach auch mal so richtig weh tun, damit man sich endlich aufrafft, dagegen auch tatsächlich etwas ernstzunehmendes zu tun. Und um das Ernst-Nehmen geht es doch auch ein bisschen: Es ist ein vitales Problem und nicht ein harmloser Schönheitsfehler.

  2. Claudia sagt:

    Da kann ich mich nur anschliessen. Nicht nur in diesem Bereich werden „kommunikative Weichspüler“ verwendet, sondern auch in vielen anderen Bereichen und täglich kann ich feststellen, dass Dinge nicht mehr so wahrgenommen werden wie sie sind… Hinzu kommt, dass die Psychologen in diesen Konsultationsgesprächen ja auch herausfinden können/wollen, was die Ursache der Adipositas ist und dort wiederum ansetzen können um eine „Umprogrammierung“ vorzunehmen. Parallel dazu lese ich in einer Gratis-Zeitung, dass Burn-out-Patienten aus der Bankenbranche auf dem Bauernhof Zeit verbringen und ihnen diese körperliche Arbeit sehr gut tut und einen besseren Schlaf bereitet. Also, nehmt diesen Kindern die Gameboys und Computerspiele weg und motiviert sie (und die Eltern) zu mehr körperlicher Bewegung statt geistiger! …und schon beginnen die Pfunde zu purzeln…!

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