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Von Heinrich von Grünigen um 22:27 |
Es ist interessant, bei meinem Eintritt vor zweieinhalb Wochen war ich, so weit ich sehen konnte, der einzige Patient mit ausgeprägten Übergewicht. Inzwischen sind einige dazu gestossen, die es mit mir aufnehmen können. Und so ergibt sich zwangslos das eine oder andere Gespräch zum Thema.
Besonders berührt hat mich jedoch eine kurze Begegnung in der ersten Woche, abends, als mein Laptop auf dem Zimmer noch nicht installiert war und ich mich mit andern in die öffentlich zugängliche PC-Station auf der dritten Etage teilen musste. Ein Mitpatient, der gewartet hatte, bis meine Arbeit am Blog beendet war, und der tagsüber in der gleichen Gruppe wie ich einen Wanderversuch unternommen hatte, sprach mich darauf an, wie ich mich fühle. Ich klagte über meine Knieschmerzen und er schaute mich lange an. Weisst du, was du tun solltest? fragte er. Ja, sagte ich, eigentlich war ich für eine Operation vorgemerkt, im Juli, ein künstliches Kniegelenk, aber das muss jetzt wohl noch warten. – Wieder musterte er mich von der Seite spektisch, holte dann Luft und sagte: Du bist zu dick! Hast du schon einmal daran gedacht, abzunehmen?
Bingo! – Was sagt man in solchen Momenten? Ich kenne Leute, die in dieser Situation ausrasten. Ich glaube, ich bin cool geblieben und habe das Thema gewechselt. Natürlich hatte der Mann Recht, im Prinzip. Aber eben, was soll man sagen über die täglichen Kämpfe, mal Sieg, mal Niederlage, die jahrelangen Auseinandersetzungen, Hoffnungen und Enttäuschungen, und die Tatsache, dass einem das Thema zuweilen kreuzweise überall heraushängt..? – Kein Wunder, dass der Markt der magischen Heilmittel boomt! Der neueste Schrei, habe ich gelesen, ist jetzt die Fettverflüssigung.
Durch Einspritzung einer bestimmten chemischen Lösung ins Fettgewebe werden die Fettzellen dazu gebracht, sich aufzulösen… so einfach gehe das. Und was bei der Lektüre der Beschreibung anmutet wie ein Ritual aus der Werkstatt von Dr. Frankenstein, scheint in Amerika zu einem immer populäreren Trend zu werden. Die Methode ist allerdings umstritten, aber ihre Verfechter machen geltend, die Kritiker (zumeist Schönheits-Chirurgen mit Erfahrung im Fettabsaugen) würden nur ihre unliebsame Konkurrenz schlecht reden… Trotz dieser Auseinandersetzung gibt es in USA bereits Staaten, in denen die Technik ofiziell zugelassen ist und wo die entsprechenden Spritzen sogar in Fitnessclubs und Schönheitssalons gesetzt werden…
Hauptrisiko sei allerdings die gesundheitliche Sicherheit. Die Substanzen, die eingespritzt werden, werden offenbar nicht von seriösen und anerkannten Pharmakonzernen unter sterilen Bedingungen produziert, sondern in irgendwelchen inofiziellen Drogenklitschen, so dass mit einer Verunreinigung der Präparate und mit entsprechenden gesundheitlichen Schäden zu rechnen sei. – Da lobe ich mir dann doch unsere zuweilen allzu bedächtigen Gesundheitsbehörden, die nichts überstürzen und die unser Wohl im Auge behalten…
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Von Heinrich von Grünigen um 21:16 |
Das war sie dann, die erste Serie von „SF bi de Lüt“ mit dem Motto Ein Ort nimmt ab. Zwölf Sendungen, ein Thema. Eine Ortschaft, deren Name wohl noch längere Zeit mit dieser TV-Präsenz verbunden bleiben wird. Dreieinhalb Tonnen Körperfett sollten in zwölf Wochen zum Verschwinden gebracht werden… das Ziel wurde – bis auf 10% – fast erreicht: 3’200 Kilo sind es, hochgerechnet. Glückwunsch!
Und die Hauptfiguren, deren Kampf mit den Tücken des Abnehmens wir in den letzten Wochen mitverfolgen konnten, haben zwischen 2 und 10 Kilo abgenommen, pro Person. Ein grosser Teil von ihnen war im adipösen Bereich, also mit einem BMI über 30. Dieses Resultat kann sich unter verschiedenen Aspekten sehen lassen: zum einen zeigt es, dass „man“ nicht einfach auf Kommando abnehmen kann, sondern dass jedes Individuum grundsätzlich anders reagiert auf eine Veränderung der Lebensbedingungen. Alle hatten in etwa die gleichen Anregungen bezüglich Ernährung und Bewegung, die meisten nahmen sie auch wahr, aber die verschiedenen Personen sind unterschiedlich damit umgegangen.
Die Abschlusssendung zog in einem bunten Panoptikum Bilanz. Nicht verwunderlich, dass diese in der öffentlichen Selbstevaluation durchwegs positiv ausgefallen ist. Nicht alle Zuschauer haben wohl die Serie lückenlos verfolgt, aber ich konnte im Gespräch mit vielen Menschen, die mich darauf agesprochen hatten, feststellen, dass doch etwas hängen geblieben ist, dass die Sendungen und die Tipps und Anregungen, die sie in oft verspielter und plakativer Form vermittelt haben, doch haften geblieben sind. Wenn dadurch landesweit etwas in Bewegung geraten ist, dann kann sich die Projektleitung glücklich schätzen.
Aber nun kämpft jede und jeder wieder für sich allein mit sich selber… das ist der härteste Teil, der jetzt erst begonnen hat. Dazu kann man allen, die daran beteiligt sind, nur viel Kraft und Durchhaltewillen wünschen. Mir jedenfalls hat die Begegnung mit dem Eglisauer Team Spass gemacht und ich werde aufmerksam verfolgen, ob und wie es weiter geht.
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Von Heinrich von Grünigen um 22:13 |
Michael Moore, enfant terrible unter den US-Dokumentarfilmern, hat abgenommen. Während den Dreharbeiten zu seinem neuesten Film über das amerikanische Gesundheitswesen hat er sich selber und seiner Crew eine Gesundheitskur verschrieben, was unter anderem zur Folge hatte, dass er in drei Monaten 15 Kilo abgespeckt hat.
In einem Interview mit der Chicago Tribune hat er darüber Auskunft gegeben, wie er dies erreicht habe. Und wer nun irgendwelche moore’schen Extrem-Tipps erwartet, sieht sich leider enttäuscht. Seine Empfehlungen sind elementar, aber vielleicht gerade deshalb wirksam und nützlich:
1. Jeden Tag 30-40 Minuten gehen und dabei etwas schwitzen
2. Zu jedem Frühstück ein Müesli mit Haferflocken und Faserstoffen (35 Gramm)
3. Keine Diäten
4. Genug schlafen, mindestens 7-8 Stunden
Und das soll alles sein? – Interessant ist, dass sich diese vier Punkte so ziemlich total decken mit meiner Rehabilitations-Realität: mit Frühturnen, Ergometer-Training, Wandern, Wassergymanstik und Velofahren komme ich täglich mehrmals ins Schwitzen; am Frühstücksbüffet gibt es eine breite Auswahl von von Faser-Produkten und Flocken zum Joghurt und zum Müesli; die Mahlzeiten sind ausgewogen und komplett, keine Diät, aber vollwertig und nur über die Menge begrenzt; zwischen Nachtessen um 18 Uhr und Früstück nach 8 Uhr bleibt ausreichend Zeit für eine lange Schlaf-Phase, sofern man sie sich nicht mit Herumzappen und Lesen mutwillig verkürzt. – Und ich merke, dass „es“ wirkt. Wieviel ich in den zwei Wochen abgenommen habe, kann ich noch nicht sagen, denn die Waagen sind zu wenig zuverlässig… aber DASS ich abgenommen habe, das merke ich beim Schuhebinden und an der lockereren Art, wie sich die Hosen an meinem Bauch anfühlen…
Also, Leute, ob ihr Michael Moore mögt oder nicht – seine Tipps sind elementar und können nützlich sein.
PS: das mit dem Flyer-Fahren statt Wandern hat heute geklappt, ich liess mir vom Arzt die Lizenz zum Biken geben, meldete mich bei der Wandergruppe ab, mietete ein E-Velo und kurvte eine Stunde lang – mit kleinen Pausen, wenn der Atem nicht mehr wollte – durch die hügelige Landschaft. Die sanfte Unterstützung beim Pedalen wurde mir diesmal – anders als bei früheren Testfahrten – mit meiner reduzierten Eigen-Energie voll bewusst. Vielleicht schaffe ich mir wirklich so ein Gerät für zuhause an.
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Von Heinrich von Grünigen um 22:13 |
Rückblick: der Triumph von gestern war teuer erkauft. Die ganze Nacht konnte ich kaum schlafen, da beide Knie schmerzten und mir bei jeder Bewegung glühende Blitze durch die Gelenke zuckten. Und als ich am Morgen aufzustehen versuchte, humpelte ich durch Zimmer, gekrümmt wie ein Greis… Ich hatte mich eindeutig übernommen und musste nun dafür büssen. Mein Beschluss steht fest, am Donnerstags-Spaziergang werde ich definitiv nicht teilnehmen und mir statt dessen ein Fahrrad mieten. Sie haben hier auch Flyer im Angebot, fünf Franken pro Halbtag, damit bin ich ja bereits vertraut und die werden oder wurden am Inselspital Bern bei der Rehabilitation von Herzpatienten eingesetzt, das kann ich nun ebenfalls ausprobieren.
Und dann gabs wieder einen Vortrag darüber, wie wir Herzpatienten nun unser „Leben danach“ zu gestalten hätten. Es gab einige wenige, aber strenge Regeln, die zu beachten sind, ausgehend von der Tatsache, dass über das künftige Wohlergehen zu 60 Prozent der Patient selber entscheidet; der Beitrag der Ärzte und der Medizin beläuft sich auf gerade 40 Prozent. Folgendes sind die Stichworte: nicht mehr Rauchen. Das betrifft mich ja nun nicht, denn ich habe vor rund 40 Jahren damit aufgehört… aber wichtig ist zu wissen, dass Nikotin die Herzkranzgefässe verengt. Wer nach dem Infarkt weiterraucht, tötet sich in kürzester Zeit selber, der lebensrettende Eingriff war umsonst.
Das zweite Stichwort heisst „Ernährung“: nach dem Muster der mediterranen Kost geht es darum, Nahrung zu sich zu nehmen, die wenig Cholesterin und dafür die guten Omega-3-Fettsäuren enthält. Vorsicht bei Fleisch und Wurstwaren, viel Gemüse und Früchte, regelmässig Fisch und die Produkte möglichst naturbelassen… Überlebenswichtig ist dabei die Wein- bzw. Alkohol-Frage. Ein wenig Alkohol pro Tag (und es muss nicht der berühmte Rotwein sein) stellt für den gesunden Menschen eine hilfreiche Prophylaxe dar… aber Achtung: Wer nach einem Infarkt eine eingeschränkte Herzfunktion hat, der muss Alkohol selbst in kleinen Mengen meiden, da dieser das geschädigte Herz direkt angreift und weiter in Mitleidenschaft zieht. Eine Lektion, die ich verinnerlichen muss.
Der nächste Punkt ist „Bewegung“. Dabei geht es ausdrücklich nicht um „Sport“ oder „Leistung“, aber um körperliche Aktivität, die mit Vergnügen verbunen sein sollte. Das kennen wir ja auch voin der Adipositas-Therapie her. Und es geht auch nicht darum, irgendwelche Rekorde aufzustellen, sondern auch hier gilt: jede Bewegung ist besser als keine.
Schliesslich noch: „Stressmanagement“, also der persönliche Umgang mit Situationen im Alltag und im Berufsleben, die Druck und Spannungen verursachen können. Die Aufforderung, das Leben ganz einfach „leichter“ zu nehmen, Belastungen nicht an sich herankommen zu lassen, mit seinen Mitmenschen einen entspannten und positiven Umgang zu pflegen… ich denke, hier bringe ich nicht schlechte Voraussetzungen mit.
Alles in allem hat mir die Rehabilitation bis jetzt, in den ersten zwei Wochen, viel gute und wichtige Erkenntnisse vermittelt, die ich in der dritten Woche noch abrunden kann. Dann sehen wir weiter.
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Von Heinrich von Grünigen um 22:33 |
Nein, ein Triumph des Willens war es nicht, die Allusion verbietet sich schon vor dem historischen Hintergrund, und mit dem Willen an sich hatte es wenig zu tun, vielmehr war das Wetter günstig und ein gewisser Gruppendruck lieferte den notwendigen Support.
Heute war wieder ein „ausgedehnter Spaziergang“ angesagt und nach den Strapazen der beiden letzten Male war ich so gut wie entschlossen, zu kneifen, einfach nicht an den Start zu gehen und mich hinterher damit herauszureden, es sei mit dem behandelnden Arzt abgesprochen gewesen, was es in einem gewissen Sinne auch war, denn dieser hatte mir tatsächlich eine bewusste Zurückhaltung empfohlen, was das Marschieren betrifft.
Dann aber kam der Termin näher, der Blick aus dem Fenster zeigte einen leicht bewölkten Himmel, noch kein Regen in Sicht, und ich sagte mir, vielleicht gehst du mal zur Besammlung, mit dem Vorbehalt, jederzeit umkehren zu können, wenn es zu viel wird. Ein Deal, der übrigens für alle gilt, die sich noch keine grosse Leistung zutrauen. Und so ging es denn los, anfangs recht zügig und munter, bald machten sich Erschöpfung und Atemnot bemerkbar und ich fiel zurück, zusammen mit einer zweiten Patientin, die zum ersten Mal dabei war. Bei jedem Zwischenstopp erkundigte sich der Trainer nach unserem Befinden und wir kamen stückweise voran, hielten mit, wenn auch als Nachhut, wurden von der Gruppe gleichsam mitgezogen, indem sie uns ermutigte. Bald war der Scheitelpunkt des Ausflugs erreicht, von jetzt an wurde die Strecke zurück wieder kürzer…
Als wir nach einer unglaublichen Marschzeit von fünf Viertelstunden wieder vor der Klinik standen, waren das Halloo und der Zuspruch gross, der Trainer gab mir „fünf“ mit der Hand, lobte unser Durchhaltevermögen, obwohl ich mich innerlich noch nicht damit abgefunden hatte, dass mir ein so simpler Spaziergang von einer guten Stunde nun derart schwer fällt, wo ich doch früher im Militär den 100-Kilometer-Marsch und jene Patrouillenläufe ohne grosse Mühe (wenn auch nicht mit Bravour) bewältigt hatte… so hinfällig ist das Gerüst geworden, die Struktur, der Apparat, dass sein Funktionieren plötzlich nicht mehr selbstverständlich ist.
Den wichtigsten Beitrag lieferte ein Mitpatient, der auch in der Gruppe war, nach dem Mittagessen. Er sagte, während wir uns zu unseren Zimmern begaben: Weisst du, ich habe heute glernt, dass ich mich eigentlich schämen sollte… – Ich schaute ihn fragend an. – Deine Leistung – wenn ich mir vorstelle, dass du ja fast das Doppelte an Gewicht zu schleppen hattest wie ich!
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Von Heinrich von Grünigen um 23:01 |
Heute war wieder Vortrag. Thema: Burn out – „die moderne Krankheit“. – Seit Mitte der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts kennt man das Phänomen. Es handelt sich um eine persönliche Krise, die nicht selten dadurch ausgelöst wird, dass sich jemand in seinem Alltag und im Beruf permanent selbst überfordert und, weil er die eigenen Ziele nicht mit der von sich selber verlangten Perfektion erreicht, dadurch massiv an Selbstwertgefühl verliert. Die Auswirkungen können dann meist psychosomatischer Natur, also empfindliche Krankheitssymptome aller Art sein.
Um mit dem Syndrom umgehen zu können, müssen die entsprechenden Symptome frühzeitig erkannt werden, aber gerade das ist meist ein Problem, weil Betroffene die Alarmzeichen meist gar nicht wahrnehmen wollen. Empfehlungen zur Vorbeugung, zur Prävention richten sich – soweit ich das verstanden habe und es in der gebotenen Kürze geschildert werden konnte – an die einzelnen Menschen, die möglicherweise betroffen sein können. Und wenn das Syndrom einmal vorhanden ist, braucht es viel Geduld und eine lange Zeit, um es zu „kurieren“.
Das ganze Krankheitsbild ist zwar real, aber in seiner differenzierten Komplexität auch sehr schwer fassbar. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein irritiertes Raunen durch den Vortragssaal ging, als am Schluss in der Fragerunde jemand wissen wollte, ob Burn out auch einen IV-Anspruch auslösen könne… insgeheim sah man vor dem inneren Auge schon die Schlagzeilen und die SVP-Hetzparolen zum Thema IV-Missbrauch…
Gerade die Unsichtbarkeit der Symptome macht es wohl aus, dass man sich schwer vorstellen kann, wie es ist, betroffen zu sein, wenn man sie nicht aus eigener Erfahrung kennt. Wenn ich das mit Adipositas vergleiche, so haben wir es dort mit extremer Sichtbarkeit zu tun. Das optisch wahrnehmbare Vorhandensein des zuvielen Körperfetts löst beim Betrachter bereits Reflexe aus, ehe auch nur ein Wort gewechselt ist, und keiner würde daran zweifeln, dass es existiert.
Ein weiterer Punkt beschäftigt mich: bei Adipositas und Übergewicht sprechen wir von Verhaltensprävention (anderes Ernähhrungs- und Bewegungsverhalten) und von Verhältnis-Prävention (Veränderung der Umwelt-Verhältnisse, welche das Entstehen von Adipositas begünstigen)… bei Burn out habe ich nur Empfehlungen gehört, die sich an den Einzelnen richten… aber was wäre mit einer Veränderung des ganzen beruflichen Umfelds, des Arbeitsklimas, der produktionsbedingten Stressfaktoren, des immer stärker werdenden Erfolgsdrucks, der Jobverlust-Ängste, die durch die aktuellen Trends in der globalisierten Wirtschaft ausgelöst werden…? – Letztlich ist hier eine Veränderung wohl ebenso schwer einzuleiten wie im Bereich Adipositas… aber das darf uns nicht davon abhalten, Lösungen zu suchen!
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Von Heinrich von Grünigen um 20:46 |
Eine Kurzmeldung in der SonntagsZeitung lässt mich aufmerksam hinsehen: Dicke überleben Herzinfarkt eher heisst es da. Was soll das jetzt wieder? Da habe ich mich durchgerungen, das Signal von oben (oder woher auch immer) ernstzunehmen und meinen Kuraufenthalt dazu zu nutzen, um mit mehr und gezielter Bewegung, ausgewogener und reduzierter Kost und unter ärztlicher Kontrolle so viel wie möglich abzunehmen… und jetzt fällt mir die empirische Forschung in den Rücken!?
Man habe 1700 Infarktpatienten beobachtet und dabei rechnerisch ermittelt: nach drei Jahren waren unter den Dünnen fast 10 Prozent verstorben. Von den leicht Übergewichtigen starben 7,7 Prozent, bei den schwer Übergewichtigen waren es jedoch „nur“ 3,6 Prozent! – Das Schöne an dieser Rechnung ist freilich, dass auch bei den Dünnen immerhin 90 Prozent nach drei Jahren noch leben! Das deckt sich ja auch mit den tröstlichen Informationen, die meine Gattin vom Hausarzt erhalten hatte: da die meisten Infarktpatienten nach dem Ereignis bewusster auf ihre Gesundheit achten, ist deren Lebenserwartung erfahrungsgemäss nicht kürzer, als wenn sie ohne Infarkt sorglos und unbekümmert weiterglebt hätten… Aber: war diese Erkenntnis den Preis wert, den wir bezaht haben und noch bezahlen? – Der statistisch errechnete Vorsprung von 3,6 auf 10 scheint mir dagegen eher schmal und in keinem Verhältnis zur Einbusse an Lebensqalität zwischen Normalgewicht und Adipositas. Machen wir uns da nichts vor!
Ein weiteres Rätsel hat der SonntagsBlick gelöst: er enthüllt, was der TV-Medizinmann der Nation, Dr. med Samuel „Sämi“ Stutz nach seinem Abschied vom Bildschirm zu tun gedenkt. Er will eine virtuelle Klinik eröffnen: ein Internet-Spital zur Selbstdiagnose, quasi ein Gesundheitsschiff auf den WWW-Wellen… – Für uns, die wir von der Schweizerischen Adipositas-Stiftung aus seit Jahren mit zunehmendem Erfolg eine schriftliche und telefonische Anlaufstelle zum Thema Übergewicht bieten, ist dies ein interessanter Aspekt: Konkurrenz (die ja bekanntlich das Geschäft belebt) oder Ergänzung? Beides ist spannend und stellt eine Herausforderung dar, wobei uns unsere spezifischen Erfahrungen zugute kommen werden. Interessant dürfte vor allem die Frage sein, welchen Stellenwert „das Fernsehen“ in der öffentlichen Wahrnehmung hat und ob ein Projekt mit der skizzierten Ambition ohne die Magie der Mattscheibe eine reale Überlebenschance hat?
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Von Heinrich von Grünigen um 22:37 |
Im Speisesaal sitzt man in der Regel zu viert oder zu sechst an einem Tisch. Der Tisch hat eine Nummer, und die ist fix zugeteilt für die ganze Dauer des Aufenthalts. Ich sitze an Tisch 37, ein Männertisch. Es herrscht Geschlechtertrennung, was die Sitzordnung betrifft. Sonst bin ich mir nicht so sicher. In der Toilette gibt es einen Kondom-Automaten.
Als ich eingetreten bin, vor nunmehr zehn Tagen, sassen an „meinem“ Tisch zwei „alte“: Hans und Roland, und mit mir kam ebenfalls ein zweiter Hans neu dazu. Wir tauschten unsere Geschichten aus, so weit das nötig war, um zu wissen, warum wr da sind. Der „alte“ Hans, ein Burnout-Patient, verliess uns nach einer knappen Woche, sein Aufenthalt war zu Ende. Da waren wir noch zu dritt. Vorgestern hatte Roland seine Kur beendet und der „neue“ Hans speist ebenfalls seit vorgestern vorne im Restaurant bei den à-la-carte-Gästen, da seine Frau ihn besucht und hier Hotelferien gebucht hat… So dass ich vorübergehend allein an meinem Tischlein sass.
Seit gestern ist mir ein neuer Tischnachbar zugeteilt. Verschlossen anfänglich, eher wortkarg. Alfred heisst er, bzw. steht auf seinem Kärtchen. Die ersten Mahlzeiten haben wir kaum mehr als einen Satz gewechselt. Heute ist er aufgetaut. Hat über den komplizierten Eingriff berichtet, der ihm in letzter Minute das Leben gerettet hat, über die Tage, die er im Koma lag und über das Glück, dass man ihn zweimal wieder „zurückholen“ konnte… So ist plötzlich an unserem temporären Zweiertisch eine spontane Gemeinschaft entstanden. Beide haben wir die Erfahrung gemacht, dass es beinahe zu spät hätte sein können und dass uns die Kunst der Ärzte so etwas wie ein „second life“ geschenkt hat.
Unser Tisch seht in der Mitte des kleineren Saals, man hat einen guten Überblick und kann das Kommen und Gehen beobachten, wenn zum Selbstbdienungsbüffet geschritten wird. Man nickt sich zu, wünscht „en Guete“ und registriert heimlich, wie manches Stück Brot und wie viele Butterprotionen der eine oder die andere auf ihrem Tellerchen zurückbringen… Erst beim Kaffe, im Aufenthaltsraum, oder im Restaurant, kann man sich neu gruppieren. Jetzt tauscht man die Tageserfahrungen aus oder erklärt den Neuen, wie der Laden läuft. Mit der Zeit hat man die meisten mit Namen kennenglernt, man war mit ihnen zusammen in der Gymnastik, beim Atemtraining, auf dem Spaziergang oder hat vor dem Arzt-Zimmer gewartet… Alle verbindet der Grund für ihr Hiersein, man nimmt Anteil an fremden Schcksalen und erfährt zugleich, dass man mit dem, was man erlebt hat, nicht allein ist. Das tut gut.
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Von Heinrich von Grünigen um 21:29 |
Überraschung! Im Briefkasten die Mitteilung, dass an der Réception ein Paket für mich abgeholt werden könne. Ein riesen Teil, so dass die freundliche Empfangsdame besorgt darauf hinweist, vielleicht sei es der Rehabilitation nicht förderlich, wenn ich die Kiste bis aufs Zimmer schleppen müsse, ich solle doch eins der Caddys nehmen, mit denen bei An- und Abreise die Koffer transportiert werden.
Ein Gefühl wie unterm Weihnachtsbaum, als ich vorsichtig die Verpackung öffne. Absender ist Globus, und mit einer Karte outet sich als Auftraggeber ein Team von Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich an gesundheitspolitischen Zielsetzungen und Interventionsplänen gearbeitet habe und die mir auf diesem Weg von Herzen gute Besserung wünschen und ihre Verbundenheit zeigen. Ich bin berührt: es ist Lektüre für die Mussestunden, spannend und aktuell, und ein Geschenkpaket mit mediterranen Köstlichkeiten… für die Zeit danach. Denn jetzt ist nicht daran zu denken, die wunderbar ausgewogene Kur-Kost durch wildes Dazwischenessen zu konkurrenzieren: ich habe, seit ich hier bin, schon etwas abgenommen und bin nicht gewillt, das aufs Spiel zu setzen. Dies schmälert natürlich meine Freude und meinen Dank keineswegs, es verstärkt die Vorfreude auf später.
Eine interessane Einsicht habe ich heute Vormittag bei der Chefarzt-Visite gewonnen. Er fragte mich, ob ich schon früher mal eine Ultraschall-Echo-Untersuchung am Herzen habe machen lassen. Ich verneinte. Erst jetzt, nach dem Infarkt, wurde ich merhmals untersucht. Aber vorher, weshalb auch..? Dem Herz fehlte ja nichts, bis vor kurzem. – Schade, meinte der Doc, eigentlich sollte man alle Patienten mit erheblicher Adipositas systematisch untersuchen, um zu klären, wie ihr Herz mit der Belastung durch das Übergewicht zurande kommt: es hat ja eine zusätzliche Körpermasse mit Blut zu versorgen, die Gefahr, dass sich Fett in die Adern einlagert, ist gegeben, also würde es eigentlich zur Standard-Prophylaxe gehören, den Zustand des Herzens routinemässig zu erfassen, um auf Überraschungen vorbereitet zu sein, wenn eine bestimmte BMI-Grenze überschritten ist. Die Überlegungen des Kardiologen sind nachvollziehbar.
Fast trivial mutet dagegen die Nachricht an, die uns aus Japan erreicht: dass ein handliches Gerät entwickelt wurde, mit dem man den Fettanteil bei Hunden ganz einfach messen kann, da schon 20-30% der Hunde in Japan übergewichtig sind. Und da das Wohlergehen des vierbeinigen Freundes dem Herrchen und Frauchen oft wichtiger ist als das eigene, ist es vielleicht gar nicht unrealistisch, wenn es in Japan bald kleine, handliche Ultraschall-Messgeräte gibt, um die Hundeherzchen explorieren zu können…
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Von Heinrich von Grünigen um 22:09 |
Den Abperl-Test aus dem letzten Kassensturz hätte meine neue Bugatti-Gore-Tex-Windjacke heute mit Bravour bestanden: es war ein aussergewöhnliches Spektakel, als sich die Gruppe der zum Wandern Eingeteilten am Vormittag auf dem Platz vor der Klinik traf, unterschiedlich ausgerüstet, die einen mit Schirmen, andere mit Windjacken, die optimistischen mit der Jacke im Rucksack… noch herrschte Ruhe vor dem Sturm. Am Himmel türmten sich in wilder Jagd von Westen her immer schwärzere Wolkenungeheuer, drängten aus dem Tal herauf Richtung Passhöhe, wie eine tintige Flüssigkeit, aufgewühlt und wirblig, das war kein Gewitter, das war ein Unwetter, was sich da durch die schwüle Luft wälzte…
Die Wanderung würde nicht zu lange dauern, beruhigten die Coaches, wenn es wirklich zu Regnen anfinge, könnten wir ja umkehren. Und kaum waren wir einige hundert Meter unterwegs, brach es los mit Getöse. Die Regenschauer wurden gerade von vorne in unsere Gesichter gepeitscht, Schirme wurden umgeknickt, Pelerinen knatterten im Wind, Schutzhauben blähten sich auf und wir kämpften uns trotzig Schritt vor Schritt dem Unwetter entgegen. Von meiner Jacke perlte es ab, dass es eine Freude war!
45 Minuten dauerte der Marsch, eine kleine Runde nur, aber es erfüllte mich mit Stolz, dass ich durchgehalten hatte, bis fast zuletzt… die zusätzliche Schlaufe nach der Rückkehr zum Start ersparte ich mir. – Am Morgen hatte ich einen Termin beim Echo-Kardiogramm: Ultraschall-Untersuchung des Herzens. Der Befund war ja nicht eigentlich neu, aber er unterstrich die Gewissheit, rief mir die Realität in Erinnerung: der mittlere Teil des Herzmuskels ist beschädigt, die Leistung ist eingeschränkt. Als hätte ich das in diesen letzten Tagen nicht selber immer wieder gemerkt. Wahrscheinlich gehört es zum Kernangebot dieses Programms, dass man seine neuen Möglichkeiten in der Praxis erfahren und erleben kann, dass man zwar wieder zu Fähigkeiten kommt dass man aber merkt, dass diese begrenzt sind.
In diesem Fall wäre es weniger gut, wenn die Erfahrung einfach abperlen würde…
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