2/10  Von wegen BMX

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:35

Gleich zweimal hat er mich in den letzten Tagen eingeholt. Da war die Dame, die an der Ausstellung für den Diabetes-Risiko-Test ihren Body Mass Index wissen sollte, worauf wir ihn mit verschiedenen Hilfsmitteln bestimmten: mit der BMI-Scheibe und mit einer Tabelle… und interessanterweise führten beide Varianten zum gleichen Resultat. Als sie ihn für sich selber notierte, setzte sie mehrmals an und schrieb schliesslich „BMX“ hin… Wir lachten und sie meinte, das käme ihr drum bekannt vor vom Velofahren.

Heute dann am SAPS-Telefon eine aufgebrachte Männerstimme in kräftigem Berndeutsch. Er wolle uns nur sagen, gab der Anrufer durch, dass das ein völliger Quatsch sei mit diesem Bodymassindex im „Schweizer Bauer“ und dass derjenige von uns, der sich das ausgedacht habe, ein Hohlkopf sei…

Moment, warf ich ein, wenn Sie die Formel meinen, die vom Gewicht in Kilos, das durch die Grösse in Metern im Quadrat zu teilen ist…? – Ja, sagte der Mann, genau die, die könne doch kein Mensch lösen. Sie hätten es zu dritt versucht: ein Bauer, ein Viehhändler und ein Metzger. Sie seien aufs Übergewicht zu sprechen gekommen, und da sagte einer, er habe im „Schweizer Bauer“ einen Artikel gesehen, wie man es feststelle. Aber wie sie auch gerechnet hätten, keinem von ihnen sei es gelungen, herauszufinden, wie das gehen sollte.

Und dabei, warf ich ein, kann man ja weder von den Bauern noch von den Viehhändlern und erst recht nicht von den Metzgern behaupten, sie verstünden sich nicht aufs Rechnen. Aber wenn es ihn tröste, fügte ich hinzu, so stolpere auch ich immer wieder über diese Formel und sei nicht in der Lage, einen BMI im Kopf auszurechnen. Dazu gebe es ja die praktischen Tools im Internet, wo man nur die Zahlen eingeben muss – und – Klick! – schon ist der Wert bis zur zweiten Kommastelle da.

Nun laufe der Bauer nicht mit einem Computer im Sack über die Felder, sagte der Mann am Telefon, was mir einleuchtete. Wobei der eine oder andere wohl das Handy dabei haben würde, meinte ich, und zur Not liesse sich die Übergewichtsfrage auch mit einem einfachen Messband klären: über 102 cm ist zuviel…

Als der Anrufer aufgehängt hatte, war mir nicht so ganz klar, ob er nun am Ende von mir erwartet, dass ich im „Schweizer Bauern“ eine Gegendarstellung verlangen würde…




1/10  Nach der Ausstellung

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:12

Schön, dass Heidi dank meinem Referat den Weg zu eBalance gefunden hat. Im Rückblick war die Präsenz an der Zürcher Spezialitätenausstellung Züspa insgesamt eine lohnende Sache. Wir haben viel Informationsmaterial unter die Leute gebracht, wobei zu hoffen bleibt, dass nicht alles in den nächsten Tagen im Papierkorb landet.

Wir haben viele Gespräche geführt und Einblicke gewonnen. Etwa in Familien, in denen nach altem Brauch der Herr des Hauses das Sagen hat und die Frau kaum eine Chance wahrnehmen kann, für sich und ihr gesundheitliches Wohlergehen etwas zu tun, wenn es ums Essen geht. Wir mussten feststellen, dass das offizielle Mass für den Bauchumfang, das die Grenze zieht zwischen Übergewicht und „Normalgewicht“ (88 für Frauen und 102 für Männer) offenbar von Leuten entwickelt worden ist, die weitab von der realen Welt leben… oder dann stimmen alle Hochrechnungen über die Anzahl der Übergewichtigen in der Schweiz nicht, denn fast ausnahmslos alle, die wir gemessen haben, wären demnach übergewichtig, auch wenn ihr BMI (noch?) etwas anderes aussagt.

Und wir haben mit Überraschung und Freude festgestellt, wie gut die Kids – schon die Kleinen – in Fragen der Lebensmittel Bescheid wissen, dass es bei Pommes und Hamburgern aufzupassen gilt und dass Cola nicht als Durstlöscher zu empfehlen ist… Und das Interesse am Diabetes-Risikotest, den die action d angeboten hat, war gross.

Der Abbruch der Stände am Sonntagabend war eine Sache für sich. Bei strömendem Regen galt es, sich beim „Ckeckpoint“ einzufinden, draussen im Niemandsland hinter der Kehrichtverbrennung hat die Securitas ihren „Checkpoint“ aufgebaut. An die hundert Fahrer sind um 18 Uhr schon versammelt, haben ein Depot hinterlegt und warten darauf, abgerufen zu werden. Alle Nationalitäten haben sich eingefunden, alle Branchen und Firmen, Messeprofis mit internationaler Erfahrung können es nicht fassen, dass sie in Leipzig, in Stuttgart, in Frankfurt, ja sogar in Basel reibungslos und unkompliziert aufs Gelände fahren können… während sich in Zürich an einem miserabel ausgeschilderten Treffpunkt kleine Sicherheitsleute mit Rangerhüten als Sheriffs gebärden, von deren Gnade es abhängt, ob du deine Ware abholen kannst oder ob du noch eine weitere halbe oder ganze Stunde warten musst.

Sicher, sie tun nichts als ihre Pflicht, die sie ernst nehmen. Aber es ist extrem kompliziert organisiert und man fragt sich unwillkürlich, wie das denn funktionieren würde, wenn – Gott bewahre! – einmal so etwas wie eine Katastrophe eintreten sollte… Aus Erfahrung wissen wir zwar, dass dann andere Gesetze gelten punkto Improvisation und Initiative, aber ist das wirklich ein Trost?




30/9  Die Schlankheitspille

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:54

In meinem Vortrag, den ich am Sonntag in der Züspa um 14 Uhr zum achten und damit auch zum letzten Mal halte, gibt es eine Folie, auf der in grossen Buchstaben steht: Es gibt k e i n e Wunderpille! – Und ich flehe mein Publikum geradezu an, nicht den Verlockungen der Werbung zu erliegen, wenn wieder mal die Rede ist von einem neuen Mittel, mit dessen Hilfe man die Pfunde mühelos zum Schmelzen bringen könne, ohne dabei auf Pizza, Hamburger und Cola verzichten zu müssen.

Solche Produkte mit diesen Versprechungen sind Humbug. Neben den heute zugelassenen, rezeptpflichtigen und nur unter gewissen Bedingungen von der Krankenkasse übernommenen Medikamenten Xenical und Reductil gibt es keine wissenschaftlich erprobte Pille oder Substanz, die in der Adipositas-Therapie von Bedeutung wäre.

Und nun lese ich in der berühmten amerikanischen Wissenschafts-Publikation Wired Magazine einen Artikel, der in internationalen Foren bereits eine heftige Kontroverse ausgelöst hat. – Es geht um das Metabolische Syndrom (auch „Syndrom X“ genannt), das als Oberbegriff all jene Krankheitsbefunde vereint, die mit Adipositas einhergehen.

In den USA wird dieser Begriff offenbar noch nicht so lange benutzt. Jedenfalls setzt sich der Autor kritisch und spekulativ damit auseinander. – Er sagt – knapp zusammengefasst – so viel wie: Ok, wenn wir Adipositas und die Begleiterscheinungen als „Krankheit“ definieren, so liegt es auf der Hand, dass die mächtige Pharma-Industrie nicht zögern wird und Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um entsprechende Medikamente auf den Markt zu werfen. Denn die 75 Millionen von diesem Metabolischen Syndrom betroffenen Amerikaner sind ein zu verlockender Markt. Und die Erfahrung hat gezeigt: sobald eine neue Krankheit benannt wird, ist die Chemie mit einer Pille zur Stelle. Und – so fragt der Autor sich selber und seine Leserschaft – was liegt näher, als dass die Leute dann sofort aufhören, sich mit Ernährungsumstellung und mehr Bewegung zu plagen, wenn sie doch ganz bequem eine Pille einwerfen können?

Nun wissen wir aber, dass Novartis vor vier Jahren die Forschung an einer Schlankheitspille eingestellt hat, weil sie ohne gravierende Nebenwirkungen nicht zu realisieren war, wie der damalige Forschungsleiter Dr. Leoluca Criscione berichtet. Das hindert aber offenbar meinen Kollegen Richard Atkinson, Präsident der American Obesity Association AOA, nicht, die These zu proklamieren: Die Zukunft der Adipositas liegt in den Medikamenten.(so jedenfalls wird er im besagten Wired Magazine-Artikel zitiert).

Die Diskussison ist damit lanciert.




29/9  Die Superdicken

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:24

Nein, gemeint sind nicht diese schokoladeumhüllten Schaumsüssigkeiten, denen der politisch korrekt sein wollende Mensch nicht mehr Mohrenkopf sagen darf und die von der Firma Dickmanns hergestellt werden.

Die Superdicken sind übergewichtige Menschen, die 200 und mehr Kilos wiegen. Die Sendung Focus TV auf Pro Sieben hat einige von ihnen in ihrem Alltag begleitet, unaufgeregt, sachlich, bei der Suche nach Kleidern, die gross genug sind, bei der Auswahl eines neuen Bettes, dessen Spezialmatratze bis 400 Kilos aushält und dennoch „weich wie eine Wolke“ bleibt, beim Versuch, sich in einer ganz gewöhnlichen Badewanne nass zu machen und beim Hausarzt, wo man die eigenen beiden Waagen mitnehmen muss, weil das Gerät in der Praxis nur bis 180 misst.

Eindrücklich der Bericht über Sylvia Strasser, eine – selber übergewichtige – Frau, die ein spezielles Reisebüro betreibt, das Ferien für Superdicke vermittelt und die alle Hotelangebote vorher persönlich testet: die Badezimmer und Duschen ausmisst, die Türbreiten, sich in die Liegestühle auf dem Balkon setzt, um herauszufinden, ob man sich darin wohlfühlt, ob die Betten hoch genug sind, so dass man nach dem Liegen wieder aufstehen kann.

Die Dicken werden zunehmend als interessante Konsumentengruppe erkannt und angesprochen. Noch fehlen systematisierte Angebote, wie sie in USA gang und gäbe sind. Aber die werden kommen. Tendenz zunehmend.




28/9  Sozusagen in eigener Sache

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:34

Am Nachmittag heisst es Antreten bei der NZZ. Zu Gast ist ein Seminar von PublizistInnen aus dem Bereich Medizin, die sich mit dem Konzept von eBalance befassen. Dass ein Medienhaus ein Gesundheitsportal in präventiver Absicht betreibt, ist von Interesse.

Und es ist spannend, der Bilanz nach einem Jahr Betrieb zu lauschen, noch einmal Revue passieren zu lassen, wie das interaktive Programm zur Gewichtskontrolle entstanden ist, wie es sich entwickelt hat und auch wie es ankommt bei denen, die sich seiner bedienen.

Der Blog ist ein Teil des Auftritts, ist Kommunikation, kann Anreiz sein, sich mit einem Thema vertiefend zu befassen, und mir wird bewusst, dass ich in diesem Jahr Tag für Tag (mit wenigen Ausnahmen) fast ein Buch zusammengeschrieben habe. – Als ich damit begann, hatte ich wenig Ahnung, was ein „Blog“ überhaupt ist, inzwischen konnte ich Erfahrungen sammeln, Kontakte knüpfen, Vorbilder konsultieren und Bestandteil werden einer Szene, die ausgesprochen vielfältig und speziell ist.

Das Privileg, sich jeden Tag mit einem Thema, das eine Menge Leute interessieren muss, an die Öffentlichkeit zu wenden und so Ansichten, Ideen, Thesen oder auch nur Behauptungen in dem Raum und zur Diskussion stellen zu können, ist einzigartig. Und es ist eine prima Gelegenheit, die Aufmerksamkeit interessierter Kreise auf bestimmte politische und gesellschaftliche Sachverhalte zu lenken.

Sicher, man soll die Wirkung nicht überschätzen. Aber zahlreiche direkte und indirekte Reaktionen zeigen mir, dass meine Blogs zur Kenntnis genommen werden und auch einen Nachhall haben.




27/9  Überforderte Rechenkünstler

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:33

86 Prozent der Befragten gaben an, sie würden auf eine gesunde Ernährung achten und sie würden sich ausreichend und regelmässig bewegen. Aber nur 49 Prozent hielten sich für befähigt und kompetent, in Gesundheitsdingen mitzureden. Dies ergab eine Studie, in deren Rahmen Anfang dieses Jahres 1250 Schweizerinnen und Schweizer befragt wurden.

Eine verblüffende Diskrepanz, die jedem zu denken geben muss, der sich mit Prävention befasst. Was verstehen die Leute überhaupt, wenn sie sich über gesunde Lebensmittel informiern wollen? – Auch dazu wurden jetzt die Resultate einer Untersuchung der Vanderbilt-Universität veröffentlicht.

2000 Leute sollten Fragen beantworten, nachdem sie die Deklarations-Etiketten auf Lebensmitteln gelesen hatten. Nur ein Drittel konnte korrekt antworten. Das Problem waren die Angaben „pro Portion“. Die Leute waren nicht in der Lage, umzurechnen, wieviele Kalorien sie zu sich nahmen, wenn sie etwa eine ganze Flasche Limo tranken, die laut Deklaration zweieinhalb „Portionen“ enthielt…

Noch verwirrlicher waren die Angaben zum Anteil am täglichen Bedarf von bestimmten Nährstoffen. Hier meinten die meisten, der angegebene Wert sei der tatsächliche Energiegehalt. Oder wer die Angabe las: Eine Portion enthält 160 Kalorien, und dachte, das geht ja noch, und die Packung leer futterte, realisierte nicht, dass diese insgesamt vier Portionen enthielt, was schon einem Drittel des gesamten Tagesbedarfs entsprach…

Oft hängt das mangelnde Verständnis auch damit zusammen, dass die Leute nicht ausreichend lesen und rechnen können… eine fatale Konstellation, die dazu führt, dass die Unterschicht einmal mehr benachteiligt ist. – Solange eine verblndliche gesetzliche Regelung für eine einfache und leicht lesbare Deklaration fehlt und solange die Lebensmittelindustrie ihre diesbezügliche Information primär als PR- und Marketing-Vehikel versteht, so lange wird sich daran auch bei uns nichts ändern, da mögen die 86 Prozent sich in süsser Selbsttäuschung wiegen wie sie wollen. Nicht ihre Kompetenz, nur sie selber nehmen zu.




26/9  Die Sache mit dem Segway

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:28

Sie wissen doch was ein Segway ist. Nicht? – Da war vor vier Jahren diese spannungsgeladene Enthüllungsgeschichte, zuerst nur in Andeutungen, Gerüchte, dass da ein Tüftler in Amerika dabei sei, ein absolut revolutionäres Gerät zu entwickeln, das den ganzen individuellen Nahverkehr von Grund auf revolutionieren würde, vergleichbar mit der Erfindung des Fahrrades oder der Dampfmschine… Und keiner konnte sich darunter etwas vorstellen.

Dann kamen die ersten Skizzen, Mutmassungen, erlkönigmässig… und schliesslich dann die Photos: dieses etwas plumpe, zweirädrige Ding, das mit Elektromotor läuft (anfänglich war noch über einen Dampf-Druckluft-Antrieb spekuliert worden), und eben, dass es Segway heisse.

Und dann war vor einigen Tagen bei uns (lokale Presse im Raum Zürich) die Klage zu hören, dass dieses Vehikel, das die grosse Attraktion bei einer Veranstaltung für alternative Mobilität hätte sein sollen, keine Zulassung für die Strasse habe, weshalb man davon absehen müsse, das Ding vorzuführen…

Denn: man kann es in der Schweiz durchaus kaufen. In verschiedenen Modellen. Nur fahren kann man es offenbar noch nicht überall. In Bern habe ich schon letztes Jahr eines im Einsatz gesehen, als Behinderten-Fahrzeug, quasi ein Rollstuhl-Ersatz. Das hat mir Eindruck gemacht, denn es steigert die persönliche Beweglichkeit und Autonomie eines Betroffenen enorm.

Der Betrieb ist nicht ganz risikolos. Die Balance muss gehalten werden, was offenbar nicht eben einfach ist; man las, dass der US-Präsident George W. Bush damit einen Sturz produziert hat. Ein Erfahrungsbericht aus Deutschland zeigt, dass da noch andere Probleme zu überwinden sind.

Aber was geht uns das alles hier im eBalance-Blog an? – Einiges schon. Zunächst ist das Ding für Übergewichtige primär nicht geeignet. Es hat eine maximale Tragkraft von 118 Kilo und könnte also ein Anreiz sein, abzuspecken… Aber dann stellt sich die ganz grundsätzliche Frage: wozu braucht der Mensch, der sich ohnehin zu wenig mit Muskelkraft bewegt, noch ein weiteres Gerät, das ihm die letzte Möglichkeit abnimmt, einige Schritte zu tun? Im Blick auf die Volksgesundheit müsste nicht nur die Zulassung im Strassenverkehr in Frage gestellt werden, sondern die Inbetriebnahme überhaupt, sofern eben nicht zu ganz speziellen, bewilligungspflichtigen Zwecken…

Ich weiss, da bin ich wieder mal griesgrämig und spassfeindlich, wohl nur neidisch, dass ich noch eine Weile keine Chance hätte, selber damit herumzukurven… Aber paradox ist die Situation doch: da zerbrechen sich die Experten die Köpfe, wie man die Leute wieder vermehrt dazu bringen könnte, sich per pedes zu bewegen und es werden für gutes Geld raffinierte Motivationskampagnen durchgeführt… und gleichzeitig drängt eine weitere bewegungsvernichtende Maschine auf den Markt, die uns daran hindern will, unsere eigenen Muskeln zu brauchen. Und was ist mit dem Hirn?




25/9  Von der Macht des Fettes

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:29

Mal eine andere Perspektive. Da hat man uns eingetrichtert und wir haben es allmählich, wenn auch ungern, begriffen, dass die gleiche Substanz, die wir mit uns herumtragen, und die unser Körper zu seinem Schatz und Notvorrat verklärt, so dass er sie hortet wo er doch gar nicht sollte, dass also diese gleiche Substanz es ist, die unser Essen so schmackhaft macht, die als Aromaträger unsere sensorischen Zellen wachküsst und den Appetit in uns wachsen lässt, so dass wir es uns schwer machen, sie zugleich zu hassen und auch zu lieben…

Fett also, als Medium für den Transport von Geschmack, von Aromen, von Düften, spielt eine ganz besondere Rolle im Film Das Parfüm nach dem Roman von Patrick Süskind. Es ist die schauervoll tragische Geschichte von Jean-Baptiste Grenouille, der im Paris des 17. Jahrhunderts als vermeintliche Totgeburt überlebt, eine erbärmliche Jugend fristet, die geprägt ist von seinem aussergewöhnlichen Geruchssinn, so dass seine Laufbahn als genialer Parfumeur durch alle Fährnise vorgezeichnet ist.

Zwanghaft verfolgt er das Ziel, den Duft junger Mädchen im Form ihres Destillates einzufangen und daraus das ultimative Liebesparfüm zu mischen, was ihm nur dann gelingt, wenn er die Mädchen ermordet, in grosse Tücher hüllt, die mit Fett bestrichen sind, so dass das Fett den Mädchengeruch aufnimmt, den er anschliessend in der Distillerie abzapfen kann.

Unser liebes Fett also als mörderische Trägersubstanz, ausgestattet mit der Macht, die wahre Essenz der Gerüche von Unschuld (man schreibt das 17. Jahrhundert) in sich aufzunehmen und, geläutert durch die reinigende macht des Feuers, wieder freizugeben… – Es handle sich, sagt Grenouille zu einem seiner ersten Opfer, um Tierfett. Nicht auszudenken, wozu allenfalls – nach greouille’scher Manier – unser eigenes Fett fähig wäre, so man es denn liesse bzw. seiner habhaft werden könnte. Es müsste, meine ich, für ein halbes Dutzend Jungfrauen reichen, wenn man nicht allzu verschwenderisch damit umginge.




24/9  Mundfüller DDS

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:39

Natürlich, es kommt aus Amerika. Und ich muss die Leserin um Entschuldigung bitten, die sich weniger Links zu englischen Websites gewünscht hat… aber das Ding mit Namen DDS wurde nun mal in USA erfunden und wird vielleicht einmal auch zu uns kommen.

Spontan erinnert es mich an jene kleinen Vogelpfeifchen aus Papier mit einer Metallzunge, die es früher in Tischbomben oder andern Party-Überraschungen gab: man konnte sie mit der Zunge gegen den Gaumen drücken und darüber hin blasen, und dann waren täuschend echte Trillerlaute zu vernehmen, die sich mit Mundöffnung und Wangenspannung melodisch modulieren liessen…

Das Ding, um das es hier geht, ist aus Plastic, wird nach Mass gefertigt, kostet so um die 500 Dollar. Das DDS System funktioniert offenbar ganz einfach: man klemmt es zwischen die oberen seitlichen Zahnreihen und dann füllt es einen Teil der Mundhöhle aus, so dass man beim Essen nur noch kleinere Mengen in den Mund nehmen und kauen kann. Dadurch wird man gezwungen, langsamer und in kleineren Bissen zu essen, man kann nicht mehr schlingen und das Essen in sich hinein schaufeln, sondern braucht automatisch länger, wodurch der Körper Zeit erhält, auf natürliche Weise sein Sättigungsgefühl zu aktivieren und zu spüren.

Also quasi eine mechanische Essbremse, ein technisches FdH-Programm. Und man kann diesen Gaumenblocker nach dem Essen wieder herausnehmen, abwaschen, in die Tasche stecken, bis zur nächsten Tafelrunde, wo man ihn sich kurz vorher wieder diskret reinschiebt… – Und wer weiss: Wenn das Prinzip Schule macht, kann es zum kultigen Ritual werden, wie einst das Tischgebet, indem man vor dem Essen kurz und meditativ innehält, der Hausherr blickt in die Runde und murmelt: Nehmt euer DDS… eins – zwei – und eingesetzt! Wohl bekomms, esst langsam, Freunde. Und die gepflegte Gastgeberin stellt neben das Gedeck ein kleines Schälchen mit lauwarmem Wasser (so wie wir es früher bei bestimmten Speisen, zu deren Verzehr man sich der Hände bedienen durfte, hatten, mit einem Zitronenschnitz), und er DDS-Träger lässt elegant sein Plasticteil hineingleiten, kurz bevor die Tafel aufgehoben wird… Das kann ja heiter werden.




23/9  Zwei Tage

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:26

Jede Ausstellung ist anders und alle sind doch irgendwie gleich. Wir haben an der Züspa einen Stand, der sich einigermassen sehen lassen kann, obwohl wir nichts „verkaufen“ sondern nur informieren wollen.

Unser „Hau den Lukas“ mit der Ernährungs-Pyramide war von Anfang an ein Augenfang und ein Hit. Photo-Teams haben ihn abgelichtet, die Leute guckten interessiert und wenn man sie aufforderte, „zuzuschlagen“, so entwickelten sie spontane Kräfte, dass der Holzhammer nur so knallte und die Glocke weit herum hörbar bimmelte, was wieder neue Schau- und Haulustige anlockte…

Aber nach den ersten vier Stunden kam das Aus: Die Betreiber einzelner Nachbar-Stände erhoben Einspruch. Sie betrieben ein stilles Gewerbe mit esoterischer Meditation und so, und unsere Knallerei und Bimmelei schreckte ihre Kundschaft während der Probetherapie auf, so dass die ganze schöne Wirkung des Meditierens und Relaxens im Wohlfühldunst ermunternder Düfte und Salben wirkungslos verpuffte… und damit natürlich auch das Geschäft. Das sahen wir ein.

So haben wir den lautstarken „Lukas“ kurzerhand umfunktioniert zu einem geräuschlosen Ratespiel. In der leibhaftigen Abbildung der Lebensmittelpyramide mit den täuschend echten Nachbildungen der einzelnen Lebensmittel haben wir einige Produkrte auf eine andere Ebene verschoben. So brachten wir z.B. das Paar Landjäger in der Kategorie „Fünf Mal am Tag“ unter, den Hamburger aus dem Schnellimbiss in der Gruppe „Reichlich über den Tag verteilt“… und liessen die Leute raten, wo der Fehler steckt.

Und siehe da: die Trefferquote war sehr gut. Auch das Spiegelei wurde entlarvt, es hatte auf der Ebene „Zu jeder Hauptmahlzeit“ nichts zu suchen. Interessanterweise waren auch die Kids sehr gut im Bild und merkten sofort, dass der CocaCola-Becher bei den Getränken nicht so richtig hinpasste. – Alle Achtung: Wer gezielt in die Gesundheits-Ausstellung kommt, hat offenbar bereits Ahnung, was „gesund“ sein könnte und was nicht.

Knackpunkt ist noch die Vortrags-Arena. Zwar wurde sie liebevoll nach Feng-Schui-Prinzipien gestaltet und man fühlt sich in den warmen Farben auf dem kuscheligen Teppich und unter den geschmackvollen Deckenlampen echt wohlig geborgen… aber auch etwas einsam als Referant, wenn beim einen Vortrag drei Leute erscheinen und beim zweiten eine einzige Dame, die frenundlicherweise sagt: Wegen mir müssen Sie das Referat nicht extra halten. Wir sind dann an einen Tisch gesessen und ich habe ihr beim Kaffee erzählt, was sie über die Hintergründe der Epidemie des 21. Jahrunderts und über die Adipositas-Therapie wissen wollte. Bin gespannt, wer am Sonntag kommt. Der Vortrag ist um 12 Uhr. Ich kann auch noch fünf Minuten warten, bis alle da sind.