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Von Heinrich von Grünigen um 20:46 |
Eine Kurzmeldung in der SonntagsZeitung lässt mich aufmerksam hinsehen: Dicke überleben Herzinfarkt eher heisst es da. Was soll das jetzt wieder? Da habe ich mich durchgerungen, das Signal von oben (oder woher auch immer) ernstzunehmen und meinen Kuraufenthalt dazu zu nutzen, um mit mehr und gezielter Bewegung, ausgewogener und reduzierter Kost und unter ärztlicher Kontrolle so viel wie möglich abzunehmen… und jetzt fällt mir die empirische Forschung in den Rücken!?
Man habe 1700 Infarktpatienten beobachtet und dabei rechnerisch ermittelt: nach drei Jahren waren unter den Dünnen fast 10 Prozent verstorben. Von den leicht Übergewichtigen starben 7,7 Prozent, bei den schwer Übergewichtigen waren es jedoch „nur“ 3,6 Prozent! – Das Schöne an dieser Rechnung ist freilich, dass auch bei den Dünnen immerhin 90 Prozent nach drei Jahren noch leben! Das deckt sich ja auch mit den tröstlichen Informationen, die meine Gattin vom Hausarzt erhalten hatte: da die meisten Infarktpatienten nach dem Ereignis bewusster auf ihre Gesundheit achten, ist deren Lebenserwartung erfahrungsgemäss nicht kürzer, als wenn sie ohne Infarkt sorglos und unbekümmert weiterglebt hätten… Aber: war diese Erkenntnis den Preis wert, den wir bezaht haben und noch bezahlen? – Der statistisch errechnete Vorsprung von 3,6 auf 10 scheint mir dagegen eher schmal und in keinem Verhältnis zur Einbusse an Lebensqalität zwischen Normalgewicht und Adipositas. Machen wir uns da nichts vor!
Ein weiteres Rätsel hat der SonntagsBlick gelöst: er enthüllt, was der TV-Medizinmann der Nation, Dr. med Samuel „Sämi“ Stutz nach seinem Abschied vom Bildschirm zu tun gedenkt. Er will eine virtuelle Klinik eröffnen: ein Internet-Spital zur Selbstdiagnose, quasi ein Gesundheitsschiff auf den WWW-Wellen… – Für uns, die wir von der Schweizerischen Adipositas-Stiftung aus seit Jahren mit zunehmendem Erfolg eine schriftliche und telefonische Anlaufstelle zum Thema Übergewicht bieten, ist dies ein interessanter Aspekt: Konkurrenz (die ja bekanntlich das Geschäft belebt) oder Ergänzung? Beides ist spannend und stellt eine Herausforderung dar, wobei uns unsere spezifischen Erfahrungen zugute kommen werden. Interessant dürfte vor allem die Frage sein, welchen Stellenwert „das Fernsehen“ in der öffentlichen Wahrnehmung hat und ob ein Projekt mit der skizzierten Ambition ohne die Magie der Mattscheibe eine reale Überlebenschance hat?
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Von Heinrich von Grünigen um 22:37 |
Im Speisesaal sitzt man in der Regel zu viert oder zu sechst an einem Tisch. Der Tisch hat eine Nummer, und die ist fix zugeteilt für die ganze Dauer des Aufenthalts. Ich sitze an Tisch 37, ein Männertisch. Es herrscht Geschlechtertrennung, was die Sitzordnung betrifft. Sonst bin ich mir nicht so sicher. In der Toilette gibt es einen Kondom-Automaten.
Als ich eingetreten bin, vor nunmehr zehn Tagen, sassen an „meinem“ Tisch zwei „alte“: Hans und Roland, und mit mir kam ebenfalls ein zweiter Hans neu dazu. Wir tauschten unsere Geschichten aus, so weit das nötig war, um zu wissen, warum wr da sind. Der „alte“ Hans, ein Burnout-Patient, verliess uns nach einer knappen Woche, sein Aufenthalt war zu Ende. Da waren wir noch zu dritt. Vorgestern hatte Roland seine Kur beendet und der „neue“ Hans speist ebenfalls seit vorgestern vorne im Restaurant bei den à-la-carte-Gästen, da seine Frau ihn besucht und hier Hotelferien gebucht hat… So dass ich vorübergehend allein an meinem Tischlein sass.
Seit gestern ist mir ein neuer Tischnachbar zugeteilt. Verschlossen anfänglich, eher wortkarg. Alfred heisst er, bzw. steht auf seinem Kärtchen. Die ersten Mahlzeiten haben wir kaum mehr als einen Satz gewechselt. Heute ist er aufgetaut. Hat über den komplizierten Eingriff berichtet, der ihm in letzter Minute das Leben gerettet hat, über die Tage, die er im Koma lag und über das Glück, dass man ihn zweimal wieder „zurückholen“ konnte… So ist plötzlich an unserem temporären Zweiertisch eine spontane Gemeinschaft entstanden. Beide haben wir die Erfahrung gemacht, dass es beinahe zu spät hätte sein können und dass uns die Kunst der Ärzte so etwas wie ein „second life“ geschenkt hat.
Unser Tisch seht in der Mitte des kleineren Saals, man hat einen guten Überblick und kann das Kommen und Gehen beobachten, wenn zum Selbstbdienungsbüffet geschritten wird. Man nickt sich zu, wünscht „en Guete“ und registriert heimlich, wie manches Stück Brot und wie viele Butterprotionen der eine oder die andere auf ihrem Tellerchen zurückbringen… Erst beim Kaffe, im Aufenthaltsraum, oder im Restaurant, kann man sich neu gruppieren. Jetzt tauscht man die Tageserfahrungen aus oder erklärt den Neuen, wie der Laden läuft. Mit der Zeit hat man die meisten mit Namen kennenglernt, man war mit ihnen zusammen in der Gymnastik, beim Atemtraining, auf dem Spaziergang oder hat vor dem Arzt-Zimmer gewartet… Alle verbindet der Grund für ihr Hiersein, man nimmt Anteil an fremden Schcksalen und erfährt zugleich, dass man mit dem, was man erlebt hat, nicht allein ist. Das tut gut.
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Von Heinrich von Grünigen um 21:29 |
Überraschung! Im Briefkasten die Mitteilung, dass an der Réception ein Paket für mich abgeholt werden könne. Ein riesen Teil, so dass die freundliche Empfangsdame besorgt darauf hinweist, vielleicht sei es der Rehabilitation nicht förderlich, wenn ich die Kiste bis aufs Zimmer schleppen müsse, ich solle doch eins der Caddys nehmen, mit denen bei An- und Abreise die Koffer transportiert werden.
Ein Gefühl wie unterm Weihnachtsbaum, als ich vorsichtig die Verpackung öffne. Absender ist Globus, und mit einer Karte outet sich als Auftraggeber ein Team von Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich an gesundheitspolitischen Zielsetzungen und Interventionsplänen gearbeitet habe und die mir auf diesem Weg von Herzen gute Besserung wünschen und ihre Verbundenheit zeigen. Ich bin berührt: es ist Lektüre für die Mussestunden, spannend und aktuell, und ein Geschenkpaket mit mediterranen Köstlichkeiten… für die Zeit danach. Denn jetzt ist nicht daran zu denken, die wunderbar ausgewogene Kur-Kost durch wildes Dazwischenessen zu konkurrenzieren: ich habe, seit ich hier bin, schon etwas abgenommen und bin nicht gewillt, das aufs Spiel zu setzen. Dies schmälert natürlich meine Freude und meinen Dank keineswegs, es verstärkt die Vorfreude auf später.
Eine interessane Einsicht habe ich heute Vormittag bei der Chefarzt-Visite gewonnen. Er fragte mich, ob ich schon früher mal eine Ultraschall-Echo-Untersuchung am Herzen habe machen lassen. Ich verneinte. Erst jetzt, nach dem Infarkt, wurde ich merhmals untersucht. Aber vorher, weshalb auch..? Dem Herz fehlte ja nichts, bis vor kurzem. – Schade, meinte der Doc, eigentlich sollte man alle Patienten mit erheblicher Adipositas systematisch untersuchen, um zu klären, wie ihr Herz mit der Belastung durch das Übergewicht zurande kommt: es hat ja eine zusätzliche Körpermasse mit Blut zu versorgen, die Gefahr, dass sich Fett in die Adern einlagert, ist gegeben, also würde es eigentlich zur Standard-Prophylaxe gehören, den Zustand des Herzens routinemässig zu erfassen, um auf Überraschungen vorbereitet zu sein, wenn eine bestimmte BMI-Grenze überschritten ist. Die Überlegungen des Kardiologen sind nachvollziehbar.
Fast trivial mutet dagegen die Nachricht an, die uns aus Japan erreicht: dass ein handliches Gerät entwickelt wurde, mit dem man den Fettanteil bei Hunden ganz einfach messen kann, da schon 20-30% der Hunde in Japan übergewichtig sind. Und da das Wohlergehen des vierbeinigen Freundes dem Herrchen und Frauchen oft wichtiger ist als das eigene, ist es vielleicht gar nicht unrealistisch, wenn es in Japan bald kleine, handliche Ultraschall-Messgeräte gibt, um die Hundeherzchen explorieren zu können…
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Von Heinrich von Grünigen um 22:09 |
Den Abperl-Test aus dem letzten Kassensturz hätte meine neue Bugatti-Gore-Tex-Windjacke heute mit Bravour bestanden: es war ein aussergewöhnliches Spektakel, als sich die Gruppe der zum Wandern Eingeteilten am Vormittag auf dem Platz vor der Klinik traf, unterschiedlich ausgerüstet, die einen mit Schirmen, andere mit Windjacken, die optimistischen mit der Jacke im Rucksack… noch herrschte Ruhe vor dem Sturm. Am Himmel türmten sich in wilder Jagd von Westen her immer schwärzere Wolkenungeheuer, drängten aus dem Tal herauf Richtung Passhöhe, wie eine tintige Flüssigkeit, aufgewühlt und wirblig, das war kein Gewitter, das war ein Unwetter, was sich da durch die schwüle Luft wälzte…
Die Wanderung würde nicht zu lange dauern, beruhigten die Coaches, wenn es wirklich zu Regnen anfinge, könnten wir ja umkehren. Und kaum waren wir einige hundert Meter unterwegs, brach es los mit Getöse. Die Regenschauer wurden gerade von vorne in unsere Gesichter gepeitscht, Schirme wurden umgeknickt, Pelerinen knatterten im Wind, Schutzhauben blähten sich auf und wir kämpften uns trotzig Schritt vor Schritt dem Unwetter entgegen. Von meiner Jacke perlte es ab, dass es eine Freude war!
45 Minuten dauerte der Marsch, eine kleine Runde nur, aber es erfüllte mich mit Stolz, dass ich durchgehalten hatte, bis fast zuletzt… die zusätzliche Schlaufe nach der Rückkehr zum Start ersparte ich mir. – Am Morgen hatte ich einen Termin beim Echo-Kardiogramm: Ultraschall-Untersuchung des Herzens. Der Befund war ja nicht eigentlich neu, aber er unterstrich die Gewissheit, rief mir die Realität in Erinnerung: der mittlere Teil des Herzmuskels ist beschädigt, die Leistung ist eingeschränkt. Als hätte ich das in diesen letzten Tagen nicht selber immer wieder gemerkt. Wahrscheinlich gehört es zum Kernangebot dieses Programms, dass man seine neuen Möglichkeiten in der Praxis erfahren und erleben kann, dass man zwar wieder zu Fähigkeiten kommt dass man aber merkt, dass diese begrenzt sind.
In diesem Fall wäre es weniger gut, wenn die Erfahrung einfach abperlen würde…
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Von Heinrich von Grünigen um 21:29 |
Ein wichtiger Eckpfeiler in den Therapie-Angeboten sind die Vorträge. Zwei- bis dreimal pro Woche steht auf dem individuellen „Tagesbefehl“, den wir jeweils in unseren Postfächlein finden, der Hinweis: Vortrag für ALLE. Dabei referieren die verschiedenen Spezialisten bzw. Oberärzte über ihr jeweiliges Fachgebiet und so lernt man ganz nebenbei viel Wissenswertes über die medizinischen Hintergründe der Leiden, derentwegen die PatientInnen hier sind.
Heute war „Diagnostik von Erkrankungen am Herzen“ angesagt, präsentiert vom Bigboss persönlich, dem Klinikchef und Kardiologen Artur Bernardo. Es ging darum, wie zu reagieren ist, wenn sich bei Infarkt-Patienten zu einem späteren Zeitpunkt erneut Symptome einstellen sollten, die man vom „ersten Mal“ her zu kennen glaubt… Im Publikum sassen Leute, die bereits mehrere Infarkte „überlebt“ haben und die auf vielfältige Erfahrungen im Umgang mit der Herz- und Notfallmedizin zurückblicken. Eindrücklich die Schilderung der verschiedenen Methoden zur Diagnose, vom EKG über den Ultraschall bis zum MRI und dem Herzkatheter, mit denen sich der Fachmann ein mehr oder weniger präzises Bild machen kann vom Zustand des betroffenen Herzens. Wie sich zeigt, sind nicht alle Techniken in gleicher Weise aussagekräftig, oft müssen sie kombiniert werden und es bedarf der feinfühligen Interpretation durch den erfahrenen Experten, um auch kleinste Signale und Anzeichen richtig zu interpretieren. Tragischerweise sind die Anzeichen für einen Infarkt bei Frauen wesentlich schwieriger zu deuten als bei Männern.
Eine wichtige Erkenntnis dürfen wir uns ins Stammbuch schreiben: die Herzkranzgefässe können verstopft werden durch Verkalkung oder durch Fetteinlagerung in die millimeterdünnen Äderchen. Während sich eine Kalk-Ablagerng mit keinem Mittel wieder dauerhaft entfernen lässt, weder mechanisch noch durch Medikamente, ist es möglich, den Fettpfropfen in den Adern zu Leibe zu rücken. Bei stark adipösen Patienten, die deutliche Fett-Einlagerungen aufwiesen, sind diese deutlich zurückgegangen, nachdem die Patienten ihr Ausgangsgewicht reduziert hatten.
Es muss nicht – aber es kann einen direkten Zusammenhang geben zwischen Übergewicht und Herzinfarkt. Wer sein Gewicht reduziert, kann dazu beitragen, das Risiko zu vermindern. Eine Herausforderung, der man sich stellen sollte, auch wenn man noch nicht betroffen ist.
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Von Heinrich von Grünigen um 20:58 |
Nach sechs Tagen Kur spürt man, wie der Leistungspegel langsam steigt. Zuhause habe ich es auf dem Hometrainer kaum eine Viertelstunde geschafft, ehe nicht der Hintern in wunde Rebellion ausbrach… hier habe ich sozusagen klaglos eine halbe Stunde geradelt, im Ergometertraining, verkabelt, alle paar Minuten eine automatische Blutdruckmessung und mit ferngesteuerter Leistungs-Anpassung, damit mein Puls immer schön im Trainingsbereich von 110 blieb. Vielleicht ist dies der Unterschied zwischen dem einsamen Strampeln im heimischen Umfeld und dem sanften Gruppendruck, dem man hier ausgesetzt ist und dessen Kollegialität mitträgt.
Weniger glimpflich bin ich heute beim Marschieren davongekommen. Angesagt war ein „ausgedehnter Spaziergang“, geplant auf anderthalb Stunden… was mich, der ich in der letzten Zeit kaum länger als fünf Minuten zur Tramhaltestelle am Stück gegangen bin, mit einiger Skepsis erfüllte. Aber nachdem das freundliche Trainerpaar uns aufgefordert hatte, jederzeit zu melden, wenn wir Probleme hätten, bin ich wohlgemut losgezuckelt, konnte anfangs noch prächtig Schritt halten, schliesslich bin ich in eine der schwächeren Gruppen eingeteilt. Als der Pfad aber von der sicheren Strasse weg und übers Feld etwas in die Höhe führte, fiel ich zurück und merkte, wie sehr mir die Übung abhanden gekommen war. Das Atmen fiel schwerer, die Hitze drückte und die Knie begannen zu schmerzen, wenn auch weniger stark als ich anfänglich befürchtet hatte.
Aber nach einer halben Stunde, als wir am Scheitelpunkt unseres Ausflugs angelangt waren, stand für mich und die Betreuer fest: es machte keinen Sinn, wenn ich mich nun den gleichen Weg wieder zurück quälen würde. Flugs war ein Wagen da, und die Mitwanderer trösteten mich freundlich, ich solle mir nichts daraus machen, das sei ihnen am Anfang auch passiert… – Nach Rücksprache mit dem Arzt wurde festgelegt, dass ich den Akzent stärker auf Wassergymnastik und Schwimmen legen müsste. Aber es war gut, etwas von den Grenzen zu erfahren, denen ich mich annähern konnte.
Schliesslich bin ich ja hier, um wieder zur „Normalität“ zurück zu finden. Das darf einige Anstrengung kosten, vor allem, wenn man so gut betreut wird.
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Von Heinrich von Grünigen um 14:44 |
Was hier steht, habe ich gestern bereits sinngemäss zweimal geschrieben… aber es gab offenbar beim Blog-Provider ein technisches Problem, es war mir nicht möglich, den Sonntags-Beitrag zu überspielen, trotz mehrmaligem Anlauf.
Ich versuche es jetzt noch ein weiteres Mal… – Also: dreimal täglich dreht sich bei uns alles ums Essen. (A propos: heute Abend um 20 Uhr wäre Besichtigung der Küche für Interessierte.) Am Morgen gibt es ein Frühstücks- und am Mittag meist ein Salat-Buffet. Und obwohl hier alle je eigentlich auf ihr Wohlbefinden achten und sich in jeder Hinsicht schonen sollten, zeigt sich das gleiche Phänomen, das wir von jedem Pauschalarrangement an die Costa Brava her bestens kennen. Wer immer in der viel zu langen Schlange steht, hat eine panische Furcht davor, dass der, der vor ihm ist, just das bestes Stück, das letzte Brötchen, den letzten Löffel Hüttenkäse wegschnappen könnte. Und so geht ein Drängeln und Schieben los, ein quer-über-die-Töpfe-Greifen, ein Schubsen, ganz so, als würde in den nächsten Minuten landesweit die Rationierung ausgerufen… Dabei, das konnte ich in diesen letzten Tagen feststellen, klappt der Nachschub hervorragend und die Reserven scheinen intakt zu sein.
Unter der Woche ist das Frühstücksbuffet vorbildlich gesund. Dunkles Mehrkornbrot, die cholesterinfreie Margarine, die mit Prof. Walter schon in der Reklame empfohlen hat, Viertelfettkäse, Joghurt mit verschiedenen Ballaststoffen von Haferflocken bis zur Weizenkleie und Früchte dazu… Schöne Illustrationen, die zeigen, wie eine empfohlene Zusammensetzung aussehen würde. Das macht Spass. – – Aber am Sonntag bricht der Luxus über die Tefelgemeinde herein: da biegt sich der Tresen unter der Vielfalt des Angebotes, es gibt Gipfeli (!), Zopf, kleine Brötchen, verschiedenste Sorten von hell bis dunkel, Butter, Margerine, Platten mit Käse und Fleisch, diverse Joghurt-Sorten, Birchermüsli, Fruchtsalat… Dinge, an deren Existenz wir schon nur noch eine blasse Erinnerung hatten.
Da ist für uns arme 1200-Kalorien-Schlucker dann die Gefahr gross, dass wir aus dem Ruder laufen und uns bei einem einzigen Sonntagsbrunch die ganze Wochen-Ersparnis wieder zunichtefuttern. Umso solzer bin ich, dass es mir gelungen ist, in etwa die wöchentliche Vorgabe einzuhalten: genussvoll, aber mit Mass. Und nicht ohne einen Unterton von Häme sehe ich einzelne MitpatientInnen, die auf ihren Tellerchen hohe Türme balancieren, und dies gleich mehrmals… Selbstgerechtigkeit ist ein angenehmer Trost für entgangenes Schlemmen.
Der Weekend-Rest war beschaulich: lange im Schwimmbad Länge um Länge gezogen… noch komme ich nach akurzer Zeit ausser Atem, dann am Nachmittag Besuch von Freund Rolf, der im Auftrag der heimischen Aquafit-Corona kontrollieren muss, ob ich mich an die ärztlichen Vorschriften halte. Ich kann ihn beruhigen. Auf der Terrasse genehmigen wir uns eine Diabetiker-Glace (für Rolf) und eine Portion frische Erdbeeren (für mich) und lassen die Zeit bei schönem Sonnenschein gemütlich verstreichen, wobei wir Pläne schmieden für die „Zeit danach“.
Heute Morgen wieder zurück in den Kur-Alltag: um 07.45 wird Blut gezapft, nach dem Frühstück ist Krafttraining angesagt auf den mächtigen Nautilus-Maschinen (die jetzt schon leichter laufen als noch letzte Woche) und vor dem Mittagessen gibt es einen Arzttermin. Man ist mit meiner Entwicklung zufrieden. Noch steht Ergometer-Training auf dem Programm… was immer das bedeuten mag: um 16 Uhr weiss ichs.
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Von Heinrich von Grünigen um 22:11 |
Das tut zwischendurch mal gut: quasi auf Rezept verordnetes Faulenzen… Am Vormittag noch eine einzige Gymnastiklektion. Gruppe 4, das sind die die nicht mehr oder noch nicht so gut zu Fuss sind. Und es ist ein völlig neues Gefühl von Gymnastik, das wir hier vermittelt bekommen, mit kleinen, gezielten Bewegungen, die zum Teil im Sitzen ausgeführt werden, vorsichtig, um die Operationswunden nicht zu strapazieren, wo sie vorhanden sind… Spielerische Übungen, z.B. ein Jonglieren mit feinen farbigen Gaze-Tüchern, das die Koordination der Bewegungen zwischen den Gehirnhälften schult und alte Reflexe weckt… Ich merke, dass mir das wöchentliche Training im Wasser zu einer recht guten Beweglichkeit verholfen hat, abgesehen davon, dass ich nun bei der geringsten Anstrengung ins Schwitzen und ausser Atem komme. Der Rest des Tages wird mit Sich-Räkeln, Dösen, Lesen verbracht… ich bin streckenweise sogar zu faul, um TV zu gucken.
Nach dem Mittagessen heisst es Abschied nehmen von einigen der bisherigen Patienten, deren Aufenthalt abgeschlossen ist. Ich lerne dabei eine Gruppe von meist jüngeren Menschen kennen, die von ihrem steten Begleiter sprechen, ein gemeinsamer Bekannter offenbar, namens Burny. – Hier sind nicht nur Herzpatienten zur Kur, ein wesentliches Kontingent ist wegen psychosomatischen Störungen da, und eine ziemliche Gruppe wegen Burnout. Diese Schilderungen machen betroffen. Da handelt es sich um irgendwelche altersbedingte Verschleiss-Erscheinungen oder um die Folgen eines sog. ungesunden Lebenswandels, sondern um Opfer eines gnadenlosen Berufsalltags, meist erfolgreich, aber strapaziös, der zu einer Rundum-Überforderung geführt hat, manchmal auch zu Problemen in der Beziehung, bis hin zum Blackout, zur Apathie und zum Versagen. Aber viele berichten von verständigen KollegInnen und Vorgesetzten, davon, dass sie sich freuen, an ihren alten Arbeitsplatz zurück zu können, auch wenn sich dort dann die dringende Aufgabe stellt, den bisherigen Arbeitsstil völlig umzukrempeln um nicht wieder in die alten Fallen zurückzutappen.
Hier, in der abgeschiedenen Berg- und Hügellandschaft am Stooss, lässt sich Ruhe und Beschaulichkeit finden. Aber das Problem hat ja schon früher angefangen. Es geht nicht nur die Betroffenen an, sondern alle, die dafür verantwortlich sind, dass unsere Systeme so und nicht anders funktionieren. Irgendwie schonungslos.
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Von Heinrich von Grünigen um 20:58 |
So kann man scih täuschen! Heute Morgen, noch vor dem Frühstück, gabs die erste Theorielektion der Klinikleitung. Ziele, Regeln, Erwartungen, Lehren, die zu ziehen sind. Eine Aussage hat uns schwer geschockt: während die landläufige Meinung ja ist, dass ein kleines Gläslein in Ehren auf Dauer fürs Herz eine gute Wirkung habe, sagte der Chefarzt klipp und klar und mit Nachdruck: Wein ist für Herzpatienten das reine Gift und muss gemieden werden.
Hoppla. Haben wir da vorher etwas verpasst? Die Botschaft ist angekommen, wenn auch einen gemütlichen Abend zu spät. Ab sofort heisst es: totale Abstinenz und kein Missgriff mehr! Gute Laune lässt sich ja auch anderweitig erzielen. Und tatsächlich werden wir in handlichen Lektionen vorsichtig herangeführt an uns selber, unsere Körper und deren Bedürfnisse, die wir vielleicht vorher zu wenig ernst genommen oder vernachlässigt haben. Stille und Ruhe. Meditatives Eingehen auf die neue Realität, wie sie sich für die meisten von uns nach einem schweren Eingriff eingestellt hat.
Wir lernen atmen. Von Grund auf machen wir uns bewusst, wie das Lebenselixir Luft und mit ihm der Sauerstoff in unseren Körper einströmt, wie wir damit umgehen können, um unsere Ausdauer zu steigern und die Versorgung zu verbessern. Es sind einfache Dinge, aber gerade weil sie so einfach sind, haben wir sie vorher nicht wahrgenommen.
Dass man auch „Entspannung“ lernen muss und lernen kann, ist ein wichtiger Faktor für viele, die unter Stress gestanden haben. Auch dies ist ganz praktisch und in kleinen Schritten angelegt. Jeder Patient wird dort abgeholt, wo er mit seinem persönlichen Gesundheitszustand steht, wird individuell angeleitet und geführt, mit dem Ziel, für sich das finden zu können, was er braucht.
Auch eine Lektion Wassergymnastik gibt es. Sie erinnert mich an meine wöchentlichen Abende mit Aquafit, die sicher weitergeführt werden. Vielleicht müssen wir sie sogar ausbauen.
Nach dem Abendessen – unser Tisch ist auf reduzierte Kost mit 1200 Kalorien gesetzt – kommt der Blick ins TV-Gerät: Eglisau, die drittletzte Ausgabe. Mein Auftritt vor drei Wochen hat mir eine gewisse Bekanntheit beschert, die Kurkamerädlein wollen wissen, was dort so abläuft und wie das Ganze geht. Die Themen Gesundheit und Abnehmen interessieren die meisten. – Vor mir liegt ein ruhiges Wochenende, mit viel Musse und Freizeit. Ich geniesse das Nichtstun noch immer und verstehe es als eine Chance, viele Dinge in Zukunft gemächlicher angehen zu können, ganz so, als hätte man sie neu erlernt.
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Von Heinrich von Grünigen um 21:38 |
Das kann ja heiter werden. Der erste Abend in der Rehabilitation. Ein kurzer Rundgang der Neuankömmlinge durch die Klinik nach den Abendessen (das bekömmlich und sehr gesundheitsbewusst ist, und dennoch schmackhaft), und dann setzen wir uns auf die Terrasse. Nach und nach füllt sich der Tisch. Leute, die heute angekommen sind, solche von gestern. Rotwein, da sind wir uns einig, ist gut fürs Herz. Einige sprechen dem Saft aus dem Hause Möhl zu. Und bald sind wir – Ivo, Jürg, Markus, Martin und Charly – eine verschworene Gemeinschaft. Jeder hat seine medizinische Vorgeschichte, wir tauschen Erfahrungen aus, aber diskret. Es geht nicht darum, wer den extremsten Infarkt oder die gewagteste Operation hinter sich hat, jeder hat seine Bürde zu tragen, interessant ist jede Krankengeschichte.
Rückblick auf gestern mit dem Eingriff zu Studienzwecken: das Ereignis liegt in der Erinnerung schon recht weit zurück… Einmal mehr die Präzision der Maschinerie: du bist als Individuum quasi auf eine Installation aufgeschnallt, die dich mit Röntgenaugen durchschaut und auf unzähligen Bildschirmen zeigt, wie es in dir drin aussieht… und der Herr Doktor (PD ist er) erläutert zu diskretem Karibik-Sound mit gedämpfter Stimme, was er gerade tut und wie es sich anfühlen sollte… du bist hellwach und erlebst bei vollem Bewusstsein, wie sie dir mit einer Sonde ins Herz greifen, man „fühlt“ es zwar nicht, aber man weiss es und demzufolge vermeint man es zu spüren. Dann wird so etwas wie ein künstlicher Infarkt ausgelöst. Die Schmerzen, die Enge und Beklemmung kommen nochmals hoch, diesmal bei wachem Wissen… und du darfst sogar sagen, wenn der Schmerz zu stark ist… dann hört die Qual sofort auf. – Dreimal wird insgesamt eine Portion Stammzellen aus dem Knochenmark ins Herz gespritzt, dreimal die Beklemmung, dreimal die Erleichterung, wenn es vorbei ist… Es bleibt die Genugtuung, dass es gut verlaufen ist, und die Hoffnung, dass die Zellen etwas zur Regeneration der Herzregion beitragen werden…
Dann die Fahrt zur Rehabilitation. Einchecken, erste Kontrolle beim betreuenden Arzt… der mich eine halbe Stunde im Gang warten lässt… entweder, um mich in die meditative Musse des Kurbetriebs einzuweisen… oder weil er es mit meinem Vor-Kollegen besonders sorgfältig genommen hat. Als ich selber dran bin, zeigt sich, dass die zweite Variante zurtrifft. Gottlob.
Morgen geht es los mit einem Theorie-Vortrag noch vor dem Frühstück, dann kommt ein EKG unter Belastung, dann Wassergymnastik und am Nachmittag Atem-Technik mit Meditation… Wir lassen es ruhig anlaufen. Es können vier lustige Wochen werden.
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