30/4  Die Kohlendiät

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:30

Das ist nun wieder mal etwas Neues, das uns ganz alt vorkommt: Da hat ein Gesangssternchen, dessen Name uns nicht sonderlich zu interessieren braucht, herausgefunden, dass sie mit weniger grossem Appetit zuschlägt, wenn sie etwas Kohle auf ihr Essen streut. Das sei allerdings nicht die gewöhnliche Kohle, die man zum Heizen braucht, sagt sie, so blöd sei sie nun doch wieder nicht… aber es sei ein besonderes, geschmacksneutrales Kohlenpräparat, das auch sonst noch gut sei für die Gesundheit.

Wenn ich das lese, denke ich nicht in erster Linie an all die Kohle, die sich mit speziellen und abartigen Diäten scheffeln lässt… hier meldet sich bei mir eine alte Erinnerung aus frühen Kindertagen: Wenn wir jeweils in der Obstsaison Bauchgrimmen hatten, Dünnpfiff oder so, dsann gab uns Mutter einen gehäuften Suppenlöffel eines dunkelschwarzen Granulats. Es knirschte und knackte zwischen den Zähnen, schmeckte ganz leicht süsslich und hörte auf den melodiösen Namen Digestobiase. Das Produkt ist offenbar immer noch im Handel, aber ich habe nie mehr etwas davon gehört. Und dass man es zur Gewichtsregulierung einsetzen könnte, das kann ich mir höchstens vorstellen nach dem Motto Nützts nüt so schadts nüt.




29/4  Blauer Dunst

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 16:35

Heute ist – zumindest in Zürcher Landen – der zweitletzte Tag des unbeschwerten Rauch-Genusses in geschlossenen (öffentlichen) Räumen. Dann ist es aus mit dem genüsslichen Saugen am Glimmstängel ausserhalb von Fumoirs. Nichtraucher sehnen diesen Moment herbei, Raucher verfallen zusehends in Depressionen und in der Gastronomie kursieren düstere Harakiri-Gerüchte.

Die Zusammenhänge zwischen Tabakkonsum und Übergewicht sind vielfältig. Landläufig gilt die Meinung, wer mit Rauchen aufhöre, der nehme in kurzer Zeit erheblich an Gewicht zu. Häufig hört man von jungen Frauen, die nur deshalb mit Rauchen beginnen, weil sie sich davon eine Gewichtsabnahme versprechen. – Nun überrascht uns ein Forscher-Team aus der Abteilung Präventions-Medizin der spanischen Universität Novarra mit einem unerwarteten Befund:

Nikotin-Konsum macht dick. Je mehr jemand raucht (oder geraucht hat), umso dicker wird er – à la longue. Während über 4 Jahren wurden 7’500 Menschen aller Altersgruppen beobachtet und dabei folgende Trends festgestellt: Wer mit Rauchen aufhörte, nahm umso mehr zu, je mehr Zigaretten pro Tag er vorher geraucht hatte; wer weiter rauchte nahm während der Beobachtungszeit ebenso zu; wer nie geraucht hatte, nahm am wenigsten zu.

Die Schlussfolgerungen liegen auf der Hand (mit den nikotingelben Fingern): Rauchen ist keine geeignete Therapie gegen Übergewicht. Nikotin-Abstinenz zahlt sich auch auf der Waage aus. Neben dem Rauch-Stopp ist fürs Gewicht auch die Höhe des Konsums ausschlaggebend. (Mir hilft diese Erkenntnis freilich nicht mehr: Vor 40 Jahren habe ich aufgehört zu Rauchen, bei 80 Zigaretten pro Tag… und hatte anschliessend 30 Kilo zugenommen. Ob sich mein Verhalten geändert hätte, wenn wir damals schon gewusst hätten, was die Leute in Novarra herausgefunden haben..? Ich weiss es nicht.)

Interessant ist allerdings die Tatsache, dass heute (nur) ca. 30 Prozent der Bevölkerung rauchen, 70 Prozent sind rauchfrei. Die epidemische Verbreitung von Übergewicht und Adipositas kann also nicht allein durch das Inhalieren von getrockneten Blättern der Tabakpflanze verursacht werden…




28/4  Dünne Wahl

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 13:13

Einst war es absolut ok, wenn ein politisches Schwergewicht – also jemand, der grossen Einfluss auf die Politik nehmen konnte – auch so aussah und entsprechend wog. Eine stattliche Erscheinung, eine imposante Figur… man muss dabei nicht nur an Altbundeskanzler Helmut Kohl denken, auch andere Staatenlenker haben sich in der Vergangenheit durch Leibesfülle ausgezeichnet. Aber das war einmal. Heute ist der Körperumfang auch in der Politik zum Odium geworden. Sportliche Typen wie Obama und Sarkozy beherrschen das Feld, sogar beim nackten Berlusconi hängt nichts herunter, wie uns Giaccobo & Müller mehrmals genüsslich gezeigt haben.

In den USA wird das Körpergewicht der Kandidaten zum umstrittenen Wahlkampfthema. Obwohl dort die Wählerschaft einen hohen Anteil an Adipösen umfasst, wird abgenommen, was das Zeug hält, wenn es darum geht, Stimmen zu sammeln. Denn Umfragen zeigen, dass heute „dünn“ in ist und die fitten Abgeordneten punkten können, während sich für die Dicken das obligate Stigma nachteilig auswirkt.

Auch bei uns hat der Trend schon Fuss gefasst. Manche Politiker, die einst zu den schwereren Gewichten zählten, zeigen sich plötzlich in verdünnter Gestalt. Wie genau sie das geschafft haben, darüber wird in der Regel nicht kommuniziert. Eine Ausnahme ist hier FDP-Nationalrätin Doris Fiala. Sie hat mit einem konsequenten Regime ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten umgestellt und erfolgreich abgenommen. An einer öffentlichen Veranstaltung berichtete sie freimütig darüber, räumte aber gleichzeitig ein, dass keine Garantie bestehe, dass sie nicht ev. später wieder einmal zunehmen würde, wenn sich ihre Lebensumstände veränderten. Zudem übte sie Kritik an jenen Politikern und Promis, die sich mit einem chirurgischen Eingriff erfolgreich Erleichterung verschafft hatten, dies jedoch schamhaft verschwiegen, offenbar um den Eindruck zu erwecken, sie hätten es aus eigenem Antrieb geschafft. – Fiala nannte keine Namen, aber ein Blick auf die Parlamentarier-Bilder „einst – jetzt“ könnte interessante Perspektiven eröffnen.

Ist das mit den erhöhten Wahlchancen der Dünnen und Fitten nun ein Akt der Diskriminierung? Ein Modell der natürlichen Auslese? Oder am Ende nur eine Modeerscheinung? Und wenn wir in uns selber hineinhorchen: Würden wir eher einem mageren „Sprenzel“ unsere Stimme geben, oder einem wohlgenärten Bonvivant?




27/4  Keine Kinder?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 10:18

Sturm im Fitness-Wasserglas: In der US-Frauenzeitschrift Women’s Health hat sich die landesweit bekannte Fitness-Ikone und -Trainerin Jillian Michaels in einem Interview sinngemäss dahingehend geäussert, dass sie es ihrem sportlich gestählten Body nicht antun möchte, schwanger zu werden. Deshalb sei Kinderwunsch für sie kein Thema. Überhaupt sei sie Single.

Dass die Frage intensiv diskutiert wird, ob für Frauen eine berufliche Karriere vereinbar sei mit Kindern, das ist uns vertraut, und die Antworten darauf fallen je nach politischem Standort so oder anders aus. – In US-Diskussionsforen ist nun aber nach dem Votum von Jillian Michaels eine heftige Debatte darüber entbrannt, ob die individuelle Aesthetik eines für schön gehaltenen Körpers ein ausreichender Grund dafür sei, auf das Kinderkriegen zu verzichten.

Michaels holt in ihrer Begründung noch etwas weiter aus: weil sie selber eine unglückliche Kindheit hatte, nach der Trennung der Eltern mit Übergewicht kämpfen musste, diesen Zustand zwar mit Mühe aber erfolgreich überwinden könnte, möchte sie sich selber der Gefahr eines Rückfalls nicht aussetzen…

LeserInnen-Reaktionen decken ein breites Spannungsfeld ab: Von totalem Unverständnis und Empörung darüber, dass wir bereit sind, vitale Lebens-Funktionen einem irregeleiteten Schönheitsideal zu opfern, bis zu vollem Verständnis und dem engagierten Plädoyer für die totale Selbstbestimmung der Frau… Aber offenbar emotionalisiert das Thema und provoziert die Verkürzung der Fragestellung. Was würde wohl geschehen, wenn eine solche Aussage hierzulande zur Diskussion stünde?




26/4  Süsse Stoffe

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:58

Noch sind ja die Meinungen kontrovers und verbindliche Resultate liegen nicht vor über die Bekömmlichkeiten der verschiedenen Süssungsmittel, die weniger Kalorien enthalten als der böse alte Zucker… oder gar keine. Und nun geht ein neuer Begriff um die Welt: Erythritol.

Das ist ein Produkt, das aus der Natur gewonnen wird, aus bestimmten Früchten, in denen es vorkommt, und das offenbar identische Eigenschaften hat wie Kristallzucker: es ist körnig und entspricht mengenmässig 1:1 der Süsskraft herkömmlichen Zuckers, lässt sich in Backwaren verwenden, ist verdauungstolernat, hat keine Auswirkungen auf den Glykämischen Index, ist für Diabetiker geeignet und hat überdies – keine Kalorien!

Da der „Stoff“ in der Natur vorkommt und die Menschen ihn schon seit Jahrtausenden mit bestimmten Nahrungsmitteln „mit-konsumiert“ haben, ist er voll verträglich, ohne Nach- und Nebengeschmack. Erste Erfolgsmeldungen kommen aus der Backwarenindustrie, wo Versuche in Dänemark gezeigt haben, dass die berühmten dänischen Plätzchen (Cookies) mit 50 Prozent weniger Zucker hergestellt werden können, wenn für die andere Hälfte Erythritol verwendet wird. In unabhängigen Blind-Test-Versuchen wurden keinerlei Unterschiede in Konsistenz und Geschmack festgestellt.

Das Produkt ist auf dem Weg nach Europa. Es meldet sich an unter der Marke Z sweet und ist vorerst im Internet erhältlich. Ob und wann es in der Schweiz offiziell als Lebensmittel zugelassen sein wird, ist noch nicht bekannt. Eine interessante Perspektive bietet der neue Stoff allemal, in Ergänzung zu den bestehenden, bewährten Süssstoffen.




25/4  Flucht nach vorne

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:40

Seit sich die First Lady im Weissen Haus persönlich dafür einsetzt, dass die amerikanischen Kinder besser essen können, ist Bewegung in die Szene gekommen. Es ist nun nicht mehr ein anonymes Amt, keine Behörde, auch kein Wissenschafter-Team… es ist der Name Obama, der sich direkt mit dem Appell zur Besserung verbindet.

Und da eine reale Gefahr besteht, dass sich Michelle O. hausintern durchsetzt und einen Prozess in Gang bringt, der zu strengeren Auflagen für die Nahrungsmittel-Industrie führen könnte, hat diese übereilt die Flucht nach vorne angetreten. In einer Mitteilung vom letzten Freitag liess der Dachverband verlauten, man unterstütze die Initiative der Administration, die Ernährungs-Situation für Kinder und Jugendliche zu verbessern… aber man könne das selber und aus eigener Verantwortung tun, man brauche – bitte sehr! – dafür keine Richtlinien und keine gesetzliche Regelungen.

In den Jahren 2002 bis 2006 habe man die Rezepte von 20’000 Produkten verbessert: weniger Salz, weniger Zucker, weniger Fett.. Und man werde diesen Weg aus eigenem Antrieb weiter verfolgen, der Staat möge sich bitte nicht in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen und von denen er ohnehin nichts verstehe. Dass man selber die „Guten“ sei, das habe man ja nun bewiesen.

Solche Klänge kommen einem bekannt vor. Auch hierzulande werden diese Schalmeien geblasen und Produzenten wie Verkäufer zeigen sich im besten Licht, wenn es darum geht, das Unschuldslamm zu mimen. Wenn man aber auf die Werbe-Tricksereien schaut, mit denen ernährungsphysiologisch fragwürdige Produkte als naturreine Gesundheits-Garantien angepriesen werden, dann zweifelt man an der Redlichkeit der Absicht. Bisher wurde noch kein „ungesundes“ Produkt freiwillig vom Markt genommen, und wenn man all die Stoffe und Zutaten weglassen würde, die uns solche Erzeugnisse erst „schmackhaft“ machen (künstliche Aromen, Geschmacksverstärker, Süssstoffe…), dann würde der Handel zwar einbrechen, aber die Ernährung wäre nachhaltiger und gesundheitsförderlicher. Vergesst die leeren Versprechungen, verlangt den Tatbeweis.




24/4  Einladung

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:42

Wenn das Wetter wieder besser wird, zieht es uns mit Macht nach draussen. In der freien Natur unterwegs zu sein, das ist eine Bereicherung. Zu einer solchen im wahrsten Sinn wird das bewegte Tun, wenn man es mit einer wohltätigen Aktivität verbinden kann.

Ich nutze deshalb die Gunst der schonen Stunde, um (zum wiederholten Mal) auf eine Veranstaltung aufmerksam zu machen, bei der wir auf die Unterstützung fitter Ssupporter angewiesen sind. – Alljärlich führt einer unserer Sponsoren, die Pharma-Firma Abbott AG, ein sportliches Happening durch, bei dem Vertretungen diverser Patientenorganisationen Punkte sammeln können, indem sie gemeinsam eine Leistung erbringen. Diese Punkte werden dann in Geld umgewandelt und fliessen so in die Kassen der auf Spenden angewiesenen gemeinnützigen Institutionen.

Am 12. Juni ist es wieder so weit, da startet der diesjährige PACE RACE zu einem Treffen am Sempachersee: Aus allen Himmelsrichtungen gelangt man per Velo dorthin; wer mit dem Zug anreist kann sich in verschiedenen Disziplinen messen, von Rudern bis zum Dart-Spiel… Alle Details und ein Anmeldeformular finden sich unter diesem Link. Es wäre ausgesprochen lässig, wenn Blog-LeserInnen das SAPS-Team verstärken würden!




23/4  Fett und friedlich?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:38

Es klingt wie eine utopische Satire: Amerikas Jugendliche sind nicht mehr militärdiensttauglich, weil sie zu fett sind! 75 Prozent der jungen Leute können nicht mehr eingezogen werden, weil sie entweder nicht über die nötige Schuldbildung verfügen, schon kriminell geworden sind oder gesundheitlich nicht den Anforderungen der Armee entsprechen; davon ist der grösste Teil übergewichtig.

Zu diesem alarmierenden Befund kommt eine Veteranen-Organisation, die sich um die Wehrbereitschaft des Landes sorgt. In einem Bericht (Too Fat to Fight) werden Massnahmen vorgeschlagen, wie dem jugendlichen Übergewicht beizukommen sei. Das beginnt bei der Verpflegung in den Schulen und endet bei neuen Trainings-Konzepten für die militärische Ausbildung.

Wenn Adipositas einen Teil der Menschheit kampfunfähig macht, dann könnte sich damit doch die pazifistische Utopie verbinden, dass der Weltfriede bald in Sicht sei, wenn einmal Freund und Feind, hüben wie drüben, sich satt und kugelrund aber friedfertig gegenüberstehen, nicht mehr in der Lage, eine Wafffe schwingend aufeinander los zu gehen… Das wäre dann das Ende der weltweiten Spannungen, das goldene Zeitalter des immerwährenden, universellen Friedens könnte beginnen: Lasst Völker um uns sein, die fett und friedlich sind!

Ganz so idyllisch dürfte die Zukunft leider doch nicht sein. Das Fehlen der physischen Schlagkraft heisst noch nicht, dass gleichzeitig das Böse aus den Köpfen verschwinden wird. Auch dicke Menschen können auf Knöpfe drücken. Der Kampf aus dem Kommandoraum braucht keine fitten Krieger mehr, vollautomatisierte Roboter lassen sich vom Sofa aus steuern, der Krieg als Vater aller Dinge wird nicht lange brauchen, bis er Ersatzlösungen gefunden hat. Es wäre also verfrüht, sich schon zu freuen.




22/4  Fat History

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:27

Ich weiss nicht so recht, was der Beitrag im heutigen Tages-Anzeiger bedeuten sollte. Ein Medizinhistoriker berichtete über Adipositas-Befunde aus früheren Zeiten, aufgrund von Arztprotokollen aus dem 14. bis 18. Jahrhundert. Systematisch sei die Anzahl adipöser Patienten damals zwar nicht erfasst worden. Berichtet habe man in erster Linie von extrem übergewichtigen Menschen, die auffällig aus der Norm geschlagen hätten. Und es müsse schon früher nicht wenige Dicke gegeben haben, die Adipositas-Epidemie sei daher nicht allein den heutigen Essgewohnheiten anzulasten, da auch schon in alten Zeiten üppig geschlemmt worden sei.

Diese Aussage scheint mir etwas speziell. Die Beweisführung hinkt. Unbestritten ist die Tatsache, dass es zu allen Zeiten stattliche Figuren gegeben hat, nur waren diese damals ein Symbol für Wohlstand, dem Respekt gezollt wurde. Fettbäuche setzten jene an, die luxuriös speisen konnten und über genügend Mittel verfügten, um die anstrengenden Arbeiten durch Dritte verrichten zu lassen und Wegstrecken in der Kutsche, zu Pferd oder gar per Sänfte zurückzulegen. Dass der einfache Pöbel oft Hunger litt und mager blieb ist auch eine historisch gesicherte Erkenntnis.

Mit der Übergewichts-Epidemie ist es wie mit fast allen „Segnungen“ der Zivilisation: als es nur einzelne wenige gab, die davon betroffen waren, blieb das Phänomen etwas Besonderes, ja Bewundernswertes. Als Marco Polo ins Land der aufgehenden Sonne reiste und Livingstone die Ursprünge des Nils erkundete, da waren solche Expeditionen eine bestaunte Sensation… erst als die Neckermänner wie Heuschreckenschwärme zum Billigtarif in die fernen Naturparadiese einfielen, wurden sie zur kulturbedrohenden Landplage. Als vereinzelte Automobile knatternd und rauchspuckend durch die Landschaft ruckelten wurden sie ehrerbietig bestaunt… erst als auch der Nachbar sich einen Zweitwagen anschaffte, versanken Stadt und Land in der Blechlawine. Und solange bloss einige Künstler und Intellektuelle sich das weisse Pulver in die Nase zogen, galt dies als szenisch und schick… das Elend brach erst aus, als der Stoff die Masse der Jungen und der Gestressten überschwemmte.

Erst die Demokratisierung, die massenhafte Verbreitung, die Gleichmacherei lassen eine Errungenschaft zum Fluch, zum Übel werden. Und der Anspruch aller, „auch“ am Fortschritt teilhaben zu dürfen, ist legitim. Verzicht kann nicht eingefordert werden. Aber Regelungen sind nötig. Der gleiche Staat, der den Fortschritt ermöglicht hat, ist in der Pflicht, ihm auch Grenzen zu setzen, wenn es ums Wohl der Allgemeinheit geht.




21/4  Die neue Hose

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 15:17

Der Schreck war gross, als ich bei der Routinekontrolle in der Arztpraxis auf die Waage stieg. Zuvor das eingespielte Ritual: Eine blitzweiss gekleidete Assistentin nahm mich lächelnd in Empfang, bat mich, die Schuhe auszuziehen und den Inhalt meiner Taschen auf einer Ablage zu deponieren (mit Schlüsselbund, Portemonnaie und Handy kommt da ein ganz schönes Zugewicht zusammen) und dann auf die kleine Plattform zu stehen. Es dauerte eine Weile, bis die elektronischen Ziffern auf dem Display ausgezappelt hatten und stille standen. Sage und schreibe anderthalb Kilo mehr als beim letzten Mal!

Das Gute an der bösen Sache ist, dass mein Arzt Verständnis hat. Er schimpft nicht und poltert nicht, redet mir nicht ins Gewissen; vielmehr hat er etwas verständnisvoll Tröstliches in seiner Art, wenn es darum geht, gemeinsam herauszufinden, wie es zu diesem Gewichtsanstieg gekommen ist. Auf dem Weg von der Waage ins Behandlungszimmer habe ich mir diese Frage ja auch schon durch den Kopf gehen lassen. An Ostern allein kann es nicht gelegen haben, denn danach hatte ich wieder versucht, die festlichen Schokolade-Ausrutscher zu kompensieren so gut es ging. Aber offenbar ging es nicht gut genug!

Da fiel mir mein Hosenkauf wieder ein. – Lange hatte ich die gleiche Jeans getragen, sie war schöner abgewetzt als jede teure Designerklamotte in Stonewashed-Look, aber sie hatte schon ein Loch in der rechten Gesässtasche und vor allem im Schritt war die Naht ausgerissen. Das sah man zwar nicht im normalen Alltag, aber beim An- und Ausziehen fiel mir das schon auf. Die Hose war mit der Zeit so etwas wie eine stille Referenz zur Gewichtskontrolle geworden. Am Mass, wie sie sich beim Anziehen über dem Bauch spannte, konnte ich abschätzen, wie es um meine Tagesform stand. War sie locker, so fühlte ich mich leicht. Zwickte sie mich und klemmte sie beim Schuhebinden eine Falte ab, so wusste ich, dass Vorsicht und Zurückhaltung angesagt waren.

Dann aber, in der Woche nach Ostern, war der Moment gekommen, wo ich mich von der löcherigen Hose trennen musste. Im Spezialgeschäft für grosse Grössen liess ich mich beraten. Es gab das gleiche Modell noch, in etwas feinerem Stoff zwar, aber geräumig im Schnitt und elastisch… und sie sass mir phantastisch! Sie spannte nicht, im Gegenteil, ich konnte den Gürtel sogar ins letzte Loch schliessen und fühlte mich beim Sitzen dennoch bequem und nicht eingeengt.

In der Arztpraxis wurde mir allerdings klar, dass die neue Hose mir in der Zeit, da ich sie hatte, unablässig die Botschaft vermittelte: Du bist leicht! Du bist dünn! Du hast abgenommen! – Dabei war das Gegenteil der Fall, und da die Hose mich sorglos machte, hatte ich guten Mutes das Leben und seine Annehmlichkeiten genossen. Mit Folgen, wie die Waage zeigte. Erkenntnis: Trau keiner Hose, die dir zu weit ist!