20/6  Wissen erhält gesund

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:29

Ein wichtiger Eckpfeiler in den Therapie-Angeboten sind die Vorträge. Zwei- bis dreimal pro Woche steht auf dem individuellen „Tagesbefehl“, den wir jeweils in unseren Postfächlein finden, der Hinweis: Vortrag für ALLE. Dabei referieren die verschiedenen Spezialisten bzw. Oberärzte über ihr jeweiliges Fachgebiet und so lernt man ganz nebenbei viel Wissenswertes über die medizinischen Hintergründe der Leiden, derentwegen die PatientInnen hier sind.

Heute war „Diagnostik von Erkrankungen am Herzen“ angesagt, präsentiert vom Bigboss persönlich, dem Klinikchef und Kardiologen Artur Bernardo. Es ging darum, wie zu reagieren ist, wenn sich bei Infarkt-Patienten zu einem späteren Zeitpunkt erneut Symptome einstellen sollten, die man vom „ersten Mal“ her zu kennen glaubt… Im Publikum sassen Leute, die bereits mehrere Infarkte „überlebt“ haben und die auf vielfältige Erfahrungen im Umgang mit der Herz- und Notfallmedizin zurückblicken. Eindrücklich die Schilderung der verschiedenen Methoden zur Diagnose, vom EKG über den Ultraschall bis zum MRI und dem Herzkatheter, mit denen sich der Fachmann ein mehr oder weniger präzises Bild machen kann vom Zustand des betroffenen Herzens. Wie sich zeigt, sind nicht alle Techniken in gleicher Weise aussagekräftig, oft müssen sie kombiniert werden und es bedarf der feinfühligen Interpretation durch den erfahrenen Experten, um auch kleinste Signale und Anzeichen richtig zu interpretieren. Tragischerweise sind die Anzeichen für einen Infarkt bei Frauen wesentlich schwieriger zu deuten als bei Männern.

Eine wichtige Erkenntnis dürfen wir uns ins Stammbuch schreiben: die Herzkranzgefässe können verstopft werden durch Verkalkung oder durch Fetteinlagerung in die millimeterdünnen Äderchen. Während sich eine Kalk-Ablagerng mit keinem Mittel wieder dauerhaft entfernen lässt, weder mechanisch noch durch Medikamente, ist es möglich, den Fettpfropfen in den Adern zu Leibe zu rücken. Bei stark adipösen Patienten, die deutliche Fett-Einlagerungen aufwiesen, sind diese deutlich zurückgegangen, nachdem die Patienten ihr Ausgangsgewicht reduziert hatten.

Es muss nicht – aber es kann einen direkten Zusammenhang geben zwischen Übergewicht und Herzinfarkt. Wer sein Gewicht reduziert, kann dazu beitragen, das Risiko zu vermindern. Eine Herausforderung, der man sich stellen sollte, auch wenn man noch nicht betroffen ist.




19/6  Grenzerfahrung

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 20:58

Nach sechs Tagen Kur spürt man, wie der Leistungspegel langsam steigt. Zuhause habe ich es auf dem Hometrainer kaum eine Viertelstunde geschafft, ehe nicht der Hintern in wunde Rebellion ausbrach… hier habe ich sozusagen klaglos eine halbe Stunde geradelt, im Ergometertraining, verkabelt, alle paar Minuten eine automatische Blutdruckmessung und mit ferngesteuerter Leistungs-Anpassung, damit mein Puls immer schön im Trainingsbereich von 110 blieb. Vielleicht ist dies der Unterschied zwischen dem einsamen Strampeln im heimischen Umfeld und dem sanften Gruppendruck, dem man hier ausgesetzt ist und dessen Kollegialität mitträgt.

Weniger glimpflich bin ich heute beim Marschieren davongekommen. Angesagt war ein „ausgedehnter Spaziergang“, geplant auf anderthalb Stunden… was mich, der ich in der letzten Zeit kaum länger als fünf Minuten zur Tramhaltestelle am Stück gegangen bin, mit einiger Skepsis erfüllte. Aber nachdem das freundliche Trainerpaar uns aufgefordert hatte, jederzeit zu melden, wenn wir Probleme hätten, bin ich wohlgemut losgezuckelt, konnte anfangs noch prächtig Schritt halten, schliesslich bin ich in eine der schwächeren Gruppen eingeteilt. Als der Pfad aber von der sicheren Strasse weg und übers Feld etwas in die Höhe führte, fiel ich zurück und merkte, wie sehr mir die Übung abhanden gekommen war. Das Atmen fiel schwerer, die Hitze drückte und die Knie begannen zu schmerzen, wenn auch weniger stark als ich anfänglich befürchtet hatte.

Aber nach einer halben Stunde, als wir am Scheitelpunkt unseres Ausflugs angelangt waren, stand für mich und die Betreuer fest: es machte keinen Sinn, wenn ich mich nun den gleichen Weg wieder zurück quälen würde. Flugs war ein Wagen da, und die Mitwanderer trösteten mich freundlich, ich solle mir nichts daraus machen, das sei ihnen am Anfang auch passiert… – Nach Rücksprache mit dem Arzt wurde festgelegt, dass ich den Akzent stärker auf Wassergymnastik und Schwimmen legen müsste. Aber es war gut, etwas von den Grenzen zu erfahren, denen ich mich annähern konnte.

Schliesslich bin ich ja hier, um wieder zur „Normalität“ zurück zu finden. Das darf einige Anstrengung kosten, vor allem, wenn man so gut betreut wird.




18/6  Weekend de luxe

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:44

Was hier steht, habe ich gestern bereits sinngemäss zweimal geschrieben… aber es gab offenbar beim Blog-Provider ein technisches Problem, es war mir nicht möglich, den Sonntags-Beitrag zu überspielen, trotz mehrmaligem Anlauf.

Ich versuche es jetzt noch ein weiteres Mal… – Also: dreimal täglich dreht sich bei uns alles ums Essen. (A propos: heute Abend um 20 Uhr wäre Besichtigung der Küche für Interessierte.) Am Morgen gibt es ein Frühstücks- und am Mittag meist ein Salat-Buffet. Und obwohl hier alle je eigentlich auf ihr Wohlbefinden achten und sich in jeder Hinsicht schonen sollten, zeigt sich das gleiche Phänomen, das wir von jedem Pauschalarrangement an die Costa Brava her bestens kennen. Wer immer in der viel zu langen Schlange steht, hat eine panische Furcht davor, dass der, der vor ihm ist, just das bestes Stück, das letzte Brötchen, den letzten Löffel Hüttenkäse wegschnappen könnte. Und so geht ein Drängeln und Schieben los, ein quer-über-die-Töpfe-Greifen, ein Schubsen, ganz so, als würde in den nächsten Minuten landesweit die Rationierung ausgerufen… Dabei, das konnte ich in diesen letzten Tagen feststellen, klappt der Nachschub hervorragend und die Reserven scheinen intakt zu sein.

Unter der Woche ist das Frühstücksbuffet vorbildlich gesund. Dunkles Mehrkornbrot, die cholesterinfreie Margarine, die mit Prof. Walter schon in der Reklame empfohlen hat, Viertelfettkäse, Joghurt mit verschiedenen Ballaststoffen von Haferflocken bis zur Weizenkleie und Früchte dazu… Schöne Illustrationen, die zeigen, wie eine empfohlene Zusammensetzung aussehen würde. Das macht Spass. – – Aber am Sonntag bricht der Luxus über die Tefelgemeinde herein: da biegt sich der Tresen unter der Vielfalt des Angebotes, es gibt Gipfeli (!), Zopf, kleine Brötchen, verschiedenste Sorten von hell bis dunkel, Butter, Margerine, Platten mit Käse und Fleisch, diverse Joghurt-Sorten, Birchermüsli, Fruchtsalat… Dinge, an deren Existenz wir schon nur noch eine blasse Erinnerung hatten.

Da ist für uns arme 1200-Kalorien-Schlucker dann die Gefahr gross, dass wir aus dem Ruder laufen und uns bei einem einzigen Sonntagsbrunch die ganze Wochen-Ersparnis wieder zunichtefuttern. Umso solzer bin ich, dass es mir gelungen ist, in etwa die wöchentliche Vorgabe einzuhalten: genussvoll, aber mit Mass. Und nicht ohne einen Unterton von Häme sehe ich einzelne MitpatientInnen, die auf ihren Tellerchen hohe Türme balancieren, und dies gleich mehrmals… Selbstgerechtigkeit ist ein angenehmer Trost für entgangenes Schlemmen.

Der Weekend-Rest war beschaulich: lange im Schwimmbad Länge um Länge gezogen… noch komme ich nach akurzer Zeit ausser Atem, dann am Nachmittag Besuch von Freund Rolf, der im Auftrag der heimischen Aquafit-Corona kontrollieren muss, ob ich mich an die ärztlichen Vorschriften halte. Ich kann ihn beruhigen. Auf der Terrasse genehmigen wir uns eine Diabetiker-Glace (für Rolf) und eine Portion frische Erdbeeren (für mich) und lassen die Zeit bei schönem Sonnenschein gemütlich verstreichen, wobei wir Pläne schmieden für die „Zeit danach“.

Heute Morgen wieder zurück in den Kur-Alltag: um 07.45 wird Blut gezapft, nach dem Frühstück ist Krafttraining angesagt auf den mächtigen Nautilus-Maschinen (die jetzt schon leichter laufen als noch letzte Woche) und vor dem Mittagessen gibt es einen Arzttermin. Man ist mit meiner Entwicklung zufrieden. Noch steht Ergometer-Training auf dem Programm… was immer das bedeuten mag: um 16 Uhr weiss ichs.




16/6  Schonzeit

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:11

Das tut zwischendurch mal gut: quasi auf Rezept verordnetes Faulenzen… Am Vormittag noch eine einzige Gymnastiklektion. Gruppe 4, das sind die die nicht mehr oder noch nicht so gut zu Fuss sind. Und es ist ein völlig neues Gefühl von Gymnastik, das wir hier vermittelt bekommen, mit kleinen, gezielten Bewegungen, die zum Teil im Sitzen ausgeführt werden, vorsichtig, um die Operationswunden nicht zu strapazieren, wo sie vorhanden sind… Spielerische Übungen, z.B. ein Jonglieren mit feinen farbigen Gaze-Tüchern, das die Koordination der Bewegungen zwischen den Gehirnhälften schult und alte Reflexe weckt… Ich merke, dass mir das wöchentliche Training im Wasser zu einer recht guten Beweglichkeit verholfen hat, abgesehen davon, dass ich nun bei der geringsten Anstrengung ins Schwitzen und ausser Atem komme. Der Rest des Tages wird mit Sich-Räkeln, Dösen, Lesen verbracht… ich bin streckenweise sogar zu faul, um TV zu gucken.

Nach dem Mittagessen heisst es Abschied nehmen von einigen der bisherigen Patienten, deren Aufenthalt abgeschlossen ist. Ich lerne dabei eine Gruppe von meist jüngeren Menschen kennen, die von ihrem steten Begleiter sprechen, ein gemeinsamer Bekannter offenbar, namens Burny. – Hier sind nicht nur Herzpatienten zur Kur, ein wesentliches Kontingent ist wegen psychosomatischen Störungen da, und eine ziemliche Gruppe wegen Burnout. Diese Schilderungen machen betroffen. Da handelt es sich um irgendwelche altersbedingte Verschleiss-Erscheinungen oder um die Folgen eines sog. ungesunden Lebenswandels, sondern um Opfer eines gnadenlosen Berufsalltags, meist erfolgreich, aber strapaziös, der zu einer Rundum-Überforderung geführt hat, manchmal auch zu Problemen in der Beziehung, bis hin zum Blackout, zur Apathie und zum Versagen. Aber viele berichten von verständigen KollegInnen und Vorgesetzten, davon, dass sie sich freuen, an ihren alten Arbeitsplatz zurück zu können, auch wenn sich dort dann die dringende Aufgabe stellt, den bisherigen Arbeitsstil völlig umzukrempeln um nicht wieder in die alten Fallen zurückzutappen.

Hier, in der abgeschiedenen Berg- und Hügellandschaft am Stooss, lässt sich Ruhe und Beschaulichkeit finden. Aber das Problem hat ja schon früher angefangen. Es geht nicht nur die Betroffenen an, sondern alle, die dafür verantwortlich sind, dass unsere Systeme so und nicht anders funktionieren. Irgendwie schonungslos.




15/6  Rotweinschock

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 20:58

So kann man scih täuschen! Heute Morgen, noch vor dem Frühstück, gabs die erste Theorielektion der Klinikleitung. Ziele, Regeln, Erwartungen, Lehren, die zu ziehen sind. Eine Aussage hat uns schwer geschockt: während die landläufige Meinung ja ist, dass ein kleines Gläslein in Ehren auf Dauer fürs Herz eine gute Wirkung habe, sagte der Chefarzt klipp und klar und mit Nachdruck: Wein ist für Herzpatienten das reine Gift und muss gemieden werden.

Hoppla. Haben wir da vorher etwas verpasst? Die Botschaft ist angekommen, wenn auch einen gemütlichen Abend zu spät. Ab sofort heisst es: totale Abstinenz und kein Missgriff mehr! Gute Laune lässt sich ja auch anderweitig erzielen. Und tatsächlich werden wir in handlichen Lektionen vorsichtig herangeführt an uns selber, unsere Körper und deren Bedürfnisse, die wir vielleicht vorher zu wenig ernst genommen oder vernachlässigt haben. Stille und Ruhe. Meditatives Eingehen auf die neue Realität, wie sie sich für die meisten von uns nach einem schweren Eingriff eingestellt hat.

Wir lernen atmen. Von Grund auf machen wir uns bewusst, wie das Lebenselixir Luft und mit ihm der Sauerstoff in unseren Körper einströmt, wie wir damit umgehen können, um unsere Ausdauer zu steigern und die Versorgung zu verbessern. Es sind einfache Dinge, aber gerade weil sie so einfach sind, haben wir sie vorher nicht wahrgenommen.

Dass man auch „Entspannung“ lernen muss und lernen kann, ist ein wichtiger Faktor für viele, die unter Stress gestanden haben. Auch dies ist ganz praktisch und in kleinen Schritten angelegt. Jeder Patient wird dort abgeholt, wo er mit seinem persönlichen Gesundheitszustand steht, wird individuell angeleitet und geführt, mit dem Ziel, für sich das finden zu können, was er braucht.

Auch eine Lektion Wassergymnastik gibt es. Sie erinnert mich an meine wöchentlichen Abende mit Aquafit, die sicher weitergeführt werden. Vielleicht müssen wir sie sogar ausbauen.

Nach dem Abendessen – unser Tisch ist auf reduzierte Kost mit 1200 Kalorien gesetzt – kommt der Blick ins TV-Gerät: Eglisau, die drittletzte Ausgabe. Mein Auftritt vor drei Wochen hat mir eine gewisse Bekanntheit beschert, die Kurkamerädlein wollen wissen, was dort so abläuft und wie das Ganze geht. Die Themen Gesundheit und Abnehmen interessieren die meisten. – Vor mir liegt ein ruhiges Wochenende, mit viel Musse und Freizeit. Ich geniesse das Nichtstun noch immer und verstehe es als eine Chance, viele Dinge in Zukunft gemächlicher angehen zu können, ganz so, als hätte man sie neu erlernt.




14/6  Säntisblick

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:38

Das kann ja heiter werden. Der erste Abend in der Rehabilitation. Ein kurzer Rundgang der Neuankömmlinge durch die Klinik nach den Abendessen (das bekömmlich und sehr gesundheitsbewusst ist, und dennoch schmackhaft), und dann setzen wir uns auf die Terrasse. Nach und nach füllt sich der Tisch. Leute, die heute angekommen sind, solche von gestern. Rotwein, da sind wir uns einig, ist gut fürs Herz. Einige sprechen dem Saft aus dem Hause Möhl zu. Und bald sind wir – Ivo, Jürg, Markus, Martin und Charly – eine verschworene Gemeinschaft. Jeder hat seine medizinische Vorgeschichte, wir tauschen Erfahrungen aus, aber diskret. Es geht nicht darum, wer den extremsten Infarkt oder die gewagteste Operation hinter sich hat, jeder hat seine Bürde zu tragen, interessant ist jede Krankengeschichte.

Rückblick auf gestern mit dem Eingriff zu Studienzwecken: das Ereignis liegt in der Erinnerung schon recht weit zurück… Einmal mehr die Präzision der Maschinerie: du bist als Individuum quasi auf eine Installation aufgeschnallt, die dich mit Röntgenaugen durchschaut und auf unzähligen Bildschirmen zeigt, wie es in dir drin aussieht… und der Herr Doktor (PD ist er) erläutert zu diskretem Karibik-Sound mit gedämpfter Stimme, was er gerade tut und wie es sich anfühlen sollte… du bist hellwach und erlebst bei vollem Bewusstsein, wie sie dir mit einer Sonde ins Herz greifen, man „fühlt“ es zwar nicht, aber man weiss es und demzufolge vermeint man es zu spüren. Dann wird so etwas wie ein künstlicher Infarkt ausgelöst. Die Schmerzen, die Enge und Beklemmung kommen nochmals hoch, diesmal bei wachem Wissen… und du darfst sogar sagen, wenn der Schmerz zu stark ist… dann hört die Qual sofort auf. – Dreimal wird insgesamt eine Portion Stammzellen aus dem Knochenmark ins Herz gespritzt, dreimal die Beklemmung, dreimal die Erleichterung, wenn es vorbei ist… Es bleibt die Genugtuung, dass es gut verlaufen ist, und die Hoffnung, dass die Zellen etwas zur Regeneration der Herzregion beitragen werden…

Dann die Fahrt zur Rehabilitation. Einchecken, erste Kontrolle beim betreuenden Arzt… der mich eine halbe Stunde im Gang warten lässt… entweder, um mich in die meditative Musse des Kurbetriebs einzuweisen… oder weil er es mit meinem Vor-Kollegen besonders sorgfältig genommen hat. Als ich selber dran bin, zeigt sich, dass die zweite Variante zurtrifft. Gottlob.

Morgen geht es los mit einem Theorie-Vortrag noch vor dem Frühstück, dann kommt ein EKG unter Belastung, dann Wassergymnastik und am Nachmittag Atem-Technik mit Meditation… Wir lassen es ruhig anlaufen. Es können vier lustige Wochen werden.




13/6  Elternalltag

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 13:36

Die schönen Tage im Unispital gehen ihrem Ende entgegen. Morgen ist die Verlegung in die Rehabilitation und heute Abend noch der letzte Eingriff, über den ich erst später berichten kann, da mir anschliessend Bettruhe verordnet ist.

Aber der Alltag streckt mir schon sein Gesicht aus den Zeitungsspalten entgegen: da ist die an sich erfreuliche Meldung, dass die Betreiber des Restaurants beim Freibad Dolder in Zürich auf ihrer Speisekarte nur noch „gesunde“ Menüs anbieten und dass Kinder, die Pommes bestellen wollten, abgewiesen worden seien. Eine sehr schöne Information, wenn da nicht die Eltern der lieben kleinen Pommessüchtigen gewesen wären, die mit lautstarkem Protest die Herausgabe der frittierten Kartoffelstäbchen erzwungen hätten.

Was nützen die besten Präventionsprogramme zum Schutz der Kinder vor Übergewicht, wenn elterliche Dummheit sie zunichte macht!? Der Vorgang erinnert an die Geschichte mit Starkoch Jamie Oliver, der für eine Schule in England ausgewogene Menüpläne entworfen hatte, mit der Folge, dass aufgebrachte Eltern ihren Lieblingen Burger, Pizzas und Pommes durch den Zaun auf den Pausenplatz reichten…

Wahrscheinlich sind und waren diese Eltern überzeugt, für ihren Nachwuchs nur das Beste zu wollen. Heimische Vollmast als Liebesbeweis: wenn es je zu einer Institution wie einem „Elternfahrausweis“ kommen sollte, wäre Ernährung eines der ersten Fächer, die auf dem Lehrplan figurieren müssten. Das Bewusstsein ist am Wachsen, die Grenzen der Anwendung zeigen sich in der Praxis.




12/6  Punktgenau

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:46

Uff… der erste Teil der Eingriffe zu Studienzwecken ist überstanden, eine kleine Sache im Rückblick, eine knappe halbe Stunde, alles in allem. Der Arzt ertastet unter dem oberen Rand der gut genährten Füdlibacke den hineren Hüftknochen und sucht eine geeignete Stelle. Du liegst bequem auf dem Bauch, das erspart das Hingucken. Zwei-drei kleine Spritzen schläfern die örtliche Zone ein und dann wird eine massivere Nadel angesetzt. Das geht völlig schmerzlos, ein wenig Druck ist zu verspüren, der sich etwas verstärkt, als die Nadel sich in den Knochen bohrt… aber weh tut es nicht.

Nun fühlt es sich vielleicht etwas komisch an, warnt der Spezialist, denn nun hat er an der Nadel eine Spritze angesetzt und beginnt vorsichtig, Flüssigkeit – Blut und Knochenmarkzellen – abzusaugen. Tatsächlich ein merkwürdiges Empfinden, das sich da so in die Knochen hineinschiebt, ausstrahlend, saugend, nicht schmerzhaft, oder doch so, wie kurzes Zahnweh, wenn man mit der Zunge an einer schadhaften Wurzel herumdrückt… Noch einmal etwas nachpressen, tiefer in den Knochen – und schon ist die Sache vorbei. Pflaster drauf, nachdem die Nadel herausgezogen wurde, was sich – erstaunlicherweise – als rechter Kraftakt erweist, so fest war sie ins Knochengefüge gerammt.

Und drei Stunden später sitze ich vergnügt am Bettrand und tippe meine Erinnerungen. Das war Präzisionsarbeit und stimmt mich ein für den zweiten Eingriff am Mittwochnachmittag: per Herzkatheter werden die so gewonnenen Zellen in die betroffene Aera gebracht. Ein Vorgang, den ich vor zwei Wochen auf den Notfallstation nicht mehr bewusst erlebt habe, da war ich weg und aus, es ging ja ums Überleben. Aber jetzt ist mein Interesse geweckt und ich vertraue dem Können und der Routine des behandelnden Arztes. Vielleicht lasst sich auch das mit dem MRI noch lösen, nach einer Alternative wird gesucht.

Für all die freundlichen Zeilen der Aufmunterng danke ich herzlich, das ist eine wichtige Begleitung auf dem Weg zur Besserung.




11/6  Analog

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:31

Mensch, was sind wir doch elektronisch verwöhnte Weicheier! Da hat mir heute Nachmittag eine hochkarätige Delegation des eBalance-Teams den versprochenen Laptop ins Spital gebracht, mir gezeigt, wie man ihn anschliesst und in Betrieb setzt… und nun will ich loslegen. Es ist schon am Eindunkeln, mein Zimmergenosse guckt sich auf dem kleinen Monitor an seinem Bett eine TV-Sendung an und ich starte die Kommunikations-Maschinerie.

Aber das hatte ich längst vergessen, wieviel Zeit dies in Anspruch nimmt, wenn man dazu das gute alte Telefon benutzen muss! Zuerst muss die Leitung frei gewählt sein, dann kommt das automatische Tü-Diddel-Dürü-Dü mit dem Zahlencode, dann dauert es un dauet es, bis der Code verifiziert und der Computer registriert ist… das hatten wir vor Jahren, aber im Digitalzeitalter ging es vergessen wie eine Geschichte von Grussmutter.

Dann eine Internet-Seite angewählt… und das dauert, dauert, dauert… und bei jeder zweiten Adresse heisst es: die Seite kann nicht angezeigt werden… ans Herunterladen einer Website ist gar nicht zu denken und ich frage mich jetzt schon, wie lange es dauern wird, bis diese wenigen Zeilen eingebeamt sind.

Ich muss mich deshalb auf das Wesentliche beschränken. Ein ruhiger Tag war es heute, mentale Vorbereitung auf die beiden medizinischen Eingriffe vom Dienstag und Mittwoch. Dann die Anfrage des Fernsehens, ob man für eine der nächsten Ausgaben von SF bi de Lüt – ein Ort nimmt ab eine Aufnahme mit mir hier im Spital machen könnte, ein kleines Gespräch mit Dora, die nie um eine Ausrede verlegen ist, warum sie gerade jetzt nicht Sport treiben oder auf eine Süssigkeit verzichten könne… um ihr drastisch klar zu machen, wohin es führen kann, wenn man die Gewichtsreduktion zu wenig Ernst nimmt…

Die TV-Anfrage löst im Hause eine gewisse Unruhe aus, denn der Dreh muss formell durch alle Instanzen bewilligt werden, aber da ist man unkompliziert und die Absprachen klappen. So kann ich jetzt beruhigt die Nacht in Angriff nehmen, wobei mich doch die Frage beschäftigt: Wie haben wir das eigentlich im vor-digitalen Zeitalter gemacht? Wie konnten wir da kommunizieren? Rauchzeichen gingen ja schneller.




10/6  Objektiv

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 16:26

Wenn man so im Spitalbett liegt, wird man sich plötzlich der Tatsache inne, dass man von Subjekt zum Objekt mutiert. Man ist unversehens zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung geworden und unterliegt neuen Regeln und Ritualen. Nach zuverlässigem Terminplan werden nun Morgen für Morgen Blutdruck und Puls erfasst, Temperatur gemessen und Lebenssaft abgezapft (spannend zu sehen, wie sehr das Talent zur Blutentnahme der einzelnen Pflegerinnen variieren kann).

Es ist ja auch interessant im Sektor Begegnungen: früher gab es eine Verbundenheit in fast verwandtschaftlichem Sinne, als die Krankenschwestern einem noch geschwisterlich zugetan schienen… inzwischen haben sie den Status von Pflegefachfrauen erreicht, von denen es ganze Hierarchien und Spezialisierungen zu geben scheint… Wusste man früher mit Schwester Monika und Schwester Gertrud noch gut, in wessen Hände man war, gibt es heute auf den kleinen Täfelchen keine Vornamen mehr, nur noch Anfangsbuchstaben und den ausgeschriebenen Geschlechtsnamen… aber die freundlichen Frauen bleiben kaum so lange am Bett stehen, dass du Name und Funktion gleichzeit komplett lesen könntest. Das schränkt zum Glück die Fürsorge und die Hilfsbereitschaft nicht ein und man weiss trotzdem, egal, wer im Moment gerade Dienst hat oder im Turnus ist, dass man bestens aufgehoben bleibt.

Eine kleine Episode hat mir adipositasmässig zu denken gegeben. Ich habe unmittelbar nach dem Infarkt eingewilligt, mich für eine wissenschaftliche Studie zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet – vereinfacht gesagt – dass man mir in den nächsten Tagen mit einem neuerlichen Eingriff Stammzellen aus dem eigenen Knochenmark in die betroffene Herzgegend einspritzen wird, um zu beobachten, ob sich dadurch das Gewebe besser regeneriert. Es wurden verschiedene Patientengruppen gebildet, um die Resultate miteinander vergleichen zu können. Die Kontrolle dieses therapeutischen Prozesses erfolgt periodisch per MRI, also mit dem Magnetresonanz-Tomografen. Um ein Ausgangsbild zu erhalten, hat man mich letzte Woche für eine erste Aufnahme vorbereitet: wie seinerzeit Pharao Ramses II. wurde ich bandagiert und präpariert, auf dem fahrbaren Katafalk vor der Magnetröhre aufgebahrt, verkabelt, gepolstert und mit Messgeräten bestückt. Sogar einen Kopfhörer erhielt ich, um mich durch die unvergleichlichen Klänge von DRS 1 bei Laune zu halten… Als dann der Schlitten mit seiner aufgapackten Ladung per Knopfdruck in die Magenttrommel eingefahren wurde, fühlte ich mich aufs Neue seltsam beengt. Wie der Korkzapfen, den man in die Flasche presst, wurde mein Brustkorb zusammengequetscht und mit einem Panik-Laut konnte ich den Vorgang stoppen…

Sorry, sagte ich, ich habe schon öfters in voller Pracht in solchen MRI-Rohren gesteckt. Und wenn ich in den Prospekten des USZ lese, dass das Institut ganz vorne bei der Weltspitze mithalten will, dann denke ich doch, man müsste sich gelegentlich mit der Tatsache befassen, dass das Patientengut weltweit nicht nur älter sondern auch dicker und schwerer wird… Dies ist mir jedenfalls bei meinen verschiedenen Gängen zum EKG, zum Ultraschall und auch zur Caféteria aufgefallen: es gibt anteilmässig sehr viele ältere und übergewichtige Patientinnen und Patienten im Spital. Das Problem stellt sich schon heute, objektiv, nicht erst morgen.

Wie auch immer, die Studie wird nächste Woche fortgesetzt, vielleicht findet sich ein passendes Gerät in einer Privatklinik. Ich lasse mich die nächsten Tage noch gern verwöhnen und umsorgen auf dem Weg zurück.