14/12  Ein Maulkorb für die Dicken?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:57

Freund Rolf hegt düstere Gedanken, als wir nach unserer wöchentlichen Aquafit-Stunde erschöpft, aber doch wohlig erleichtert bei einem halben Liter Mineral und einem Glas guten Rotweins aus Sizilien im Restaurant Hofwiesen/Trinacria sitzen.

Wer kommt nun als nächstes dran? Seit Sonntag ist das Rauchen im Umfeld der Bahn verboten. Flächendeckende Kontrollen der Automobilisten bezüglich Alkohol am Steuer künden sich an. In England soll es „husten-freie“ Zugsabteile geben… – Wann wird uns wohl das Essen verboten? Und mit welchen Mitteln kann man uns Dicke ausgrenzen und schikanieren? Uns, denen man unser „Anders-Sein“ schon von weitem an unserer Fülle ansieht?

Schneidet man uns demnächst mit Krummsäbeln bei lebendigem Leib und öffentlich den Speck von den Rippen? Kommen der Maulkorbzwang gegens Essen und die allgemeine Magenband-Pflicht als Pendent zur Leinenpflicht? – Nun gut, unser Verhalten – ob wir es unter Kontrolle haben oder nicht – gefährdet wenigstens „nur“ uns selber. Mit unserem Dicksein richten wir keinen Schaden an Dritten an, der so wirkungsvoll am Boulevard inszeniert werden könnte, dass unsere Volksvertreter in Windeseile eine Petition unterschreiben und Gesetze verabschieden, selbst wenn dadurch an sich sinnvolle Massnahmen gegen die zunehmende Fettsucht endlich umgesetzt würden…

Nein, es besteht kein Anlass, sich vor weiteren Verschärfungen zu fürchten. Übergewichtige sind heute bereits auf eine so brutale Weise in der Gesundheitsvorsorge diskriminiert, dass sie sich kaum steigern lässt. Ehe eine lebensrettende Operation, Bypass oder Magenband, auf Kosten der Krankenkasse ausgeführt werden kann, müssen „Bedingungen“ erfüllt sein, die für keinen andern Eingriff gelten. Den Patienten wird vorgehalten, dass sie an ihrer Krankheit selber schuld seien, sie müssen zuerst beweisen, dass keine andere Therapie geholfen hat, sie müssen ein minimales Maximalgewicht erreicht haben, sonst gibt es nichts, und wenn sie über sechzig Jahre alt sind, wird sowieso nichts bezahlt.

Bei keiner anderen Krankheit findet man solche Auflagen. Dem Patienten mit Lungenkrebs sagt keiner, er solle zuerst zwei Jahre nicht mehr Rauchen, bis man ihn operiert. Der verunglückte Autoraser kommt unabhängig von seinem Alter auf die Intensivstation, ohne dass man ihn vorher fragt, ob er eventuell eine Mitschuld am Unfall trage. Der Aidskranke erhält sein lebensverlängerndes Medikament, ohne dass er sich einer peinlichen Befragung über seine Sexualpraktiken unterziehen muss… Ich weiss, jeder Vergleich hinkt letztlich irgendwo, das haben Vergleiche so an sich. Aber die Tatsache bleibt: Bis weit in die oberen Hierarchien der – vielfach spindeldürr-sportlichen – Gesundheitsverantwortlichen ist der Übergewichtige nach wie vor an seinem Zustand alleine und selber Schuld. Und damit soll er sich gefälligst abfinden. Maulkorb!