5/1  Der vierte König

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:56

Noch im alten Jahr hat mich die eBalance-Redaktion angefragt, ob ich in meinem Bericht für den 6. Januar etwas zum Thema „Dreikönigskuchen“ schreiben könnte, dann müsste man sich im kulinarischen Teil nicht so ausführlich damit befassen.

Da ich als freundlicher Mensch natürlich zugesagt und den Auftrag ernst genommen hatte, machte ich mir so den einen oder anderen Gedanken und war dann heute etwas überrascht, als mir auf der eBalance-Homepage ein farbenfohes, gekröntes Backwerk entgegenstrahlte… auch wenn sich dahinter noch die diskrete Offerte versteckte, man wolle mich in der Kunst unterweisen, ebendieses Gebäck mit etwas weniger Kalorien selber herzustellen.

Das ist ein schwacher Trost! Denn auf meinen eigenen Königskuchen hat die Welt nicht gewartet. Im Gegenteil. Seit Tagen schon winken die überzuckerten Teigklopse aus allen Gazetten, lockt vielfältig die Möglichkeit, für einen Tag sich dem Prinzip der Monarchie zu verschreiben und kündigen Bürokolleginnen an, sie würden dann am Freitag noch beim Confiseur vorbeigehen…

Und es werden Erinnerungen wach, an innerfamiliäre Dramen, wenn sich kindliche Royalitäts-Sehnsüchte nicht erfüllten oder wenn das Regenten-Amt nur nachlässig verwaltet wurde.

Dabei gibt es diesen Brauch hierzulande so richtig erst wieder seit den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts, als findige Bäckersleute ihn aus der mittelalterlichen Versenkung holten, um das Geschäft nach den Festtagen noch etwas in Schwung zu halten. – Im geschichtlichen Dunkel verschwimmen die Ursprünge. Schon im alten Rom wurden durch das Los für kurze Zeit Könige bestimmt, in einem Fest zu Ehren des Saturn. Dieser Brauch verschmolz mit anderen und insbesondere mit der Geschichte von den drei Weisen aus dem Morgenland, die Magier oder Könige waren. Im Mittelalter verlor sich die Tradition, bis sie vor einem halben Jahrundert wieder belebt wurde.

Dabei ist es nicht einmal sicher, ob die Könige Kaspar, Melchior und Balthasar effektiv zu dritt waren. Diese Dreizahl ist eine spätere kirchliche Konstruktion inklusive Heiligsprechung. – Mir ist die „Legende vom vierten König“ sympathisch, wie Edzard Schaper sie einst beschrieben hat. Die Geschichte vom vierten, gemeinhin nicht bekannten König, der auf dem Weg nach Bethlehem seine ganzen Reichtümer an Arme und Bedürftige verschenkt hat, bis er zuletzt seine eigene Freiheit für einen Galeerendienst opferte, um dann 30 Jahre später mit dem erwachsenen Jesus zusammen zu treffen, den er einst in der Krippe verpasst hat.

Ein vielschichtiges Symbol, das man im Hinterkopf behalten kann, wenn man, vorsichtig tastend, in das süsse Teigbällchen beisst, mit der diffusen Hoffnung, man könnte ihn eventuell selber sein, diesen „vierten“ König für den einen Tag.