6/1 Schmauen Sie?
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 22:40 |
„Nume nid gschprängt!“ – Das ist Berndeutsch. Nicht meine „direkte“ Muttersprache, denn meine Mutter stammte aus Zürich und hat (gottlob!) zeit ihres Lebens standhaft darauf verzichtet, einen ihr fremden Dialekt imitieren zu wollen. Aber es ist mein sprachliches Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin und die erste Hälfte meines Lebens verbracht habe. Drum bin ich dem Idiom auch treu geblieben.
Trendmässig müsste man die drei Worte übersetzen: „Bloss keine Hektik!“ (Oder auch: „Kein Stress, Mann, ey!“). Und wenn sich das aufs Essen beziehen soll, dann eröffnen sich neue Perspektiven. Gerade nachdem nun die diversen Dreikönigskuchen verspeist sind, die „einfachen“, luftig-leichten, und die hochkomplexen aus der Premium-Confiserie, die gugelhupfig-kompakt sind und einen Haselnuss-Püree-Boden haben…
Vielleicht hat die Gewichstszunahme, der wir uns über die Festtage mutwillig ausgesetzt haben, auch etwas zu tun mit dem Tempo, in dem wir uns übers Essen hergemacht haben: Je schneller wir essen, desto grösssere Mengen bringen wir vom Tisch. Das Motto müsste heissen: „Langsam is(s)t weniger!“
Dafür gibt es zwei unterschiedliche Formeln: Sich selber genussvoll mit erlesenen Speisen verwöhnen, dem sagt man „Slow Food“. Das ist eine internationale Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Menschen wieder zu sensibilisieren für echte, natürliche und auf tarditionelle Weise zubereitete Speisen, kein Fast-Food, kein „Techno-Frass“, keine emulgierten, stabilisierten und sterilisierten Lebensmitel, die ja gar nicht mehr leben und daher eigentlich „Gestorbenmittel“ heissen müssten… Der Präsident der Schweizer Slow-Food-Fraktion lebt in Zürich, ist ein begnadeter Koch, Gourmet und Weinkenner, und wer sich vornimmt, im neuen Jahr an sich weniger, aber immer noch gut zu essen, dem empfehle ich, diese Philosophie zu studieren.
Die andere Formel heisst „Schmauen“. Das ist nicht Berndeutsch und auch kein Druckfehler, sondern eine Wort-Kombination aus Schmecken und Kauen. Ältere Semester kennen die Technik unter dem Stichwort „Fletschern“: Man nimmt einen kleinen Bissen Nahrung in den Mund, speichelt ihn ein und kaut ihn so lange und gründlich, bis daraus ein feines Breilein, eine Flüssigkeit geworden ist, die nicht nur leichter verdaut werden kann, sondern auch viel rascher sättigt.
Magenband-TrägerInnen kennen diese Praxis auch. Sie ist verblüffend und eröffnet überraschende geschmackliche Perspektiven. Wenn man es einmal probewise versucht, ist man fasziniert. Nur: leider geht es damit wie mit vielen guten Vorsätzen: Man fasst sie, praktiziert sie testweise – und kommt dann irgendwann, früher oder später, doch wieder davon ab. – Versuchen wirs trotzdem mal?