5/3  Richtig sprechen

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:19

Heute ist der Tag der Kranken. Seit 1939 gibt es diesen „Tag“, immer am 1. Sonntag im März. „Krankensonntag“ sagten wir dem früher, und das erinnert in leicht makabrer Weise an den „Totensonntag“.

Als ich dem Bundespräsidenten zuhörte, wie er im Fernsehen, für die Aufzeichnung offenbar im Schwesternzimmer eines Spitals postiert, von seinem Gespräch mit einem kranken Menschen berichtete, da wurde mir klar, dass das Motto des diesjährigen Tages sehr gut auch für die Adipositas-Kranken passt: Mit den Kranken soll richtig geredet werden.

Das ist ja auch bei Übergewichtigen eines der heikelsten Themen: Wie spricht man sie auf ihren „Zustand“ an, wenn sie nicht selber darauf zu sprechen kommen? Die Tatsache ist ja – im Unterschied zu manchen anderen Krankheiten – nicht zu übersehen. Und man kann davon ausgehen, dass der Betroffene sich dieser Tatsache auch bewusst ist. Er steht vielleicht jeden Morgen auf die Waage, zwängt sich in seine Kleider, stemmt sich aus dem Stuhl hoch und ächzt beim Schuhbinden… sein ganzes Leben ist geprägt davon, dass er dick ist, dass er Adipositas hat.

Wie soll und kann man da „richtig“ mit ihm darüber reden? Eine Frau hat mir von ihrem Erlebnis bei einem neuen Arzt berichtet, den sie konsultierte. Sie war 150 Kilo schwer und hatte den ganzen demütigenden und entmutigenden Marathon der fehlgeschlagenen Diäten und Kuren bereits hinter sich. Und der Herr Doktor fragte sie offen heraus: „Haben Sie schon mal daran gedacht, abzunehmen?“ Die Frau hat sich umgedreht und die Praxis verlassen.

Es ist nicht Mitleid, nicht Neugier, nicht ein beruhigendes Zureden, was gefragt ist, sondern Verständnis und ehrliche Anteilnahme. Am besten – das jedenfalls ist meine persönliche Erahrung – kommuniziert, wer eigene Erfahrung hat und sich in die Lage des Betroffenen versetzen kann. Deshalb haben spindeldürre, sportliche Adipositas-Therapeuten oft ein Glaubwürdigkeits-Problem. Wer aus persönlichem Erleben und Erleiden mitreden kann, hat einen Vertrauensbonus, der im Gespräch eingebracht werden kann. Und das nicht nur am Tag der Kranken.