4/4  Hausärzte

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:29

Am letzten Samstag bin ich ihnen begegnet, in Bern, als sie über die Kirchenfeldbrücke kamen, mit ihren Transparenten und Spruchbändern, in weissen Kitteln, die Hausärzte, auf dem Weg zum Bundesplatz, wo sie demonstrierten, 10’000 insgesamt, wie es später in den Medien hiess.

Einer, der mich erkannte, lud mich ein, mitzukommen, man brauche jetzt jede solidarische Präsenz, aber ich musste ablehnen, da ich noch den SAPS-Infostand zu betreuen hatte am Kongress der diplomierten Ernänhrungsberaterinnen. – Das Problem ist gross und evident, so erlebe ich „meinen“ Hausarzt in der Praxis: Er ist guten Willens und geht auf mich ein, wenn ich mit einem Gesundheitsproblem zu ihm komme, aber letztlich ist er ein „Durchlauferhitzer“, der mich meist weiterweist zum Spezialisten, ins Spital in die Physiotherapie…

Er ist weit entfernt davon, der übermenschliche „Doktor Allwissend“ zu sein, als den ich seine Interpreten in den TV-Serien erlebe, den „Landarzt“ mit der rauen Schale, den Dr. Sonnenfeld in der Praxis Bülowbogen mit den grossen Herzen und den properen kleinen „Doc“ im Kinderspital… sie alle sind übermenschlich in ihrer Aufopferung, klug und einfühlsam, wenn es um das Patientenwohl geht, weise und unerschrocken, wenn es gilt, dem sturen Bürokratismus die Stirn zu bieten…

Jetzt diskutieren sie im Zischtigs-Club und ich realisiere, dass mich das Problem zwar „betrifft“ als Patient, aber dass ich in der Stadt eine sehr gute Situation habe, indem ich unter verschiedenen Praxen auswählen könnte. Anders wäre es, wenn ich in einer ländlichen Region leben würde, wo sich gar kein Allgemeinpraktiker mehr niederlässt und wo es auch schon lange keine Hausbesuche mehr gibt.

Und dann fällt mir ein, dass auf unseren Listen, die wir führen, mit spezialisierten Kliniken für die Adipositas-Therapie, praktisch bei jeder Adresse der Hinweis steht: Zuweisung durch den Hausarzt! – Das heisst: Bevor man sich mit seinem speziellen Übergewichts-Problem in die Obhut eines spezialisierten Teams begeben darf, muss man durch den Hausarzt dort quasi angemeldet werden.

Viele, die bei uns Rat suchen, fragen auch nach der Adresse eines Arztes, der „etwas von Adipositas versteht“ und der mit adipösen Patienten umgehen kann… von ihrem eigenen Hausarzt seien sie enttäuscht, der nehme sie nicht ernst, rate ihnen, endlich mal „weniger zu essen“… und das ist auch kein Wunder, denn bis vor kurzen war Adipositas gar nicht als Krankheit „anerkannt“, es gab und gibt auch keine entsprechenden Ausildungsmodule während dem Medizinstudium, die adipositas-spezifischen Kenntnisse müssen erst nach Studienabschluss durch freiwilligen Kursbesuch oder in der Praxis erworben werden.

Angesichts der gravierenden Nachwuchs- und Existenzprobleme dieses speziellen Berufsstandes kommt man sich mit solcher Kritik, so berechtigt sie aus Sicht der Betroffenen ist, etwas schäbig vor. Wie können wir lernen, offen und vertrauensvoll miteinander umzugehen? Der Dialog hat erst angefangen.