9/5  Die Nahrungskette

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:31

Heute sassen wir in einem kleinen Planungsteam zusammen. Es ging darum, die Inhalte für eine Fachtagung des Ernährungsnetzwerkes „Nutrinet“ zu entwerfen, die im Herbst stattfinden wird. Thema ist die Frage, was Lebensmittelproduzenten und Grossverteiler zu einer bewussten und gesunden Ernährung beitragen (können).

Das Thema ist uferlos, das haben wir bald gemerkt. Es böte Stoff für ein mehrtägiges Seminar. Und in dieser Uferlosigkeit spiegelt sich auch die ganze Problematik: Wo überhaupt beginnen, wenn man etwas verändern will? Längst vorbei sind die Zeiten, da Otto Selbstversorger im Gärtlein hinter dem Haus sein eigenes Gemüse zog und zum Feiertag eines der Kaninchen opferte. Vorbei die Idylle des Direktverkaufs vom Bauernhof, auch wenn da und dort noch entsprechende Tafeln entlang der Nebenstrassen anzutreffen sind.

Was heute zählt, das sind Funktionalität, Rationalität, Kostendruck, Rendite und Tempo. Verpflegung muss rasch geschehen. Rein in die Mikrowelle, ohne lang zu rüsten, oder besser noch, man verspeist die nötige Nahrung im Gehen… – Es geht nicht darum, den Lauf der Zeit zu beklagen. So leben wir jetzt, und das sind unsere neuen Gewohnheiten. Aber vielleicht gibt es da und dort eine Möglichkeit, für Bewusstsein zu werben.

Wo fängt dieses denn überhaupt an? – Der Lebensmittelproduzent muss sich am Markt behaupten. Innovativ muss er sein, neue Produkte entwerfen, möglichst viel Mehrwert generieren, indem er den Rohstoff nicht roh belässt, sondern ihn geschmacklich und funktional veredelt. Früher brachte der Milchmann die MIlch und wir kauften eine Büchse Kakaopulver, um unseren Schokodrink selber zu mixen… Heute kann ich auswählen aus einer ganzen Staffel von schokoladehaltigen Milchmischgertränken, eines süsser als das andere…

Der Kunde will es so. Und wenn nicht, bringen ihm DJ Bobo und seine Kollegen schon bei, dass er es zu wollen hat. – Der Grossverteiler stellt die süsse Vielfalt in seine Regale. Er analysiert laufend den Markt und weiss, was die Kunden gerade gerne möchten. Und der Kunde – oder doch sein Kind – kauft, weil er „es“ in der Werbung gesehen hat. Die Kette schliesst sich. Wo kann man eingreifen, um etwas zu bewirken?

Müssen Gesetze her? Wer kann es dem Produzenten verargen, dass er Erfolg haben will? Dass er produziert, was seine Abnehmer, die Verkäufer, von ihm verlangen, zu den Bedingungen, die sie ihm abgerungen haben im permanenten Kampf um das günstigere Angebot? Welche Verantwortung übernehmen die Verteiler, ob gross oder klein, dadurch, dass sie ihr Sortiment nach den Bedürfnsisen der Kunden ausrichten? Und was kann der Einzelne dafür, dass ihm schmeckt, was ihm schmackhaft gemacht wurde?

So kommt eines zum andern. Und man müsste vielleicht doch beim Kunden beginnen, ihn schulen, motivieren, informieren… – Aber ich sehe das bei mir selber, jeden Tag. Sobald ich vor dem Regal stehe, ist die Gefahr da, dass ich die guten Vorsätze vergesse, alles, was ich gelernt habe, über Bord werfe, einer spontanen Eingebung folge, mehr kaufe, als ich brauche, weil es günstig ist, etwas anderes nehme, von dem ich weiss, dass ich es mag, auch wenn es mir nicht so gut tut…

Die Summer der kleinen Schwächen kann sich zu einer umgekehrten Stärke formen, die uns fesselt und unseren Freiraum beschränkt. Das zu wissen, ist vielleicht auch schon etwas wert.