4/6  Dicke Schätzung

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:26

Ein interessanter Bericht in der SonntagsZeitung: Wenn man – laut einer Untersuchung an der Northwestern University in Chicago – Eltern bittet, das Gewicht ihrer Sprösslinge zu beurteilen, so tendieren diese eher dazu, das kindliche Körpergewicht zu unterschätzen, d.h. ihre Kinder auch dann noch für normalgewichtig zu halten, wenn sie bereits übergewichtig sind.

Eine einigermassen richtige Einschätzung erfolgt dann, wenn man den Eltern eine Grafik vorlegt, auf der über- und untergewichtige Kinder abgebildet sind. Auf diese Weise – so die Verfasserin der Studie – könnte frühzeitig etwas gegen kindliche Adipositas unternommen werden, wenn man Eltern regelmässig mit solchen Abbildungen konfrontieren würde.

Ich weiss nicht, ob es sich da um ein allgemeines oder um ein eher amerikanisches Phänomen handelt. Wenn dicke Kinder schon so etwas wie die zahlenmässige Norm sind, dann fallen sie auch nicht so auf. – Bei uns deuten meine Erfahrungen in eine andere Richtung: Aufgeschreckt durch entsprechende Berichte ist vielleicht so etwas wie eine Übergewichtshysterie eingetreten. Als kürzlich eine Krankenkasse ungter ihren Mitgliedern zu einem Bewegungs-Event für übergewichtige Kinder einlud, da meldeten rund 300 Eltern ihren Nachwuchs an – aber bei der Überprüfung und Umrechnung der BMI-Werte zeigte sich, dass nur gut 10 Prozent davon effektiv übergewichtig waren. – Hatten die Eltern also die Einladung nicht richtig gelesen? Oder waren sie in Sorge und dachten im Sinne von „Nützt’s nüt, so schadt’s nüt“, sie wollten sich vorsorglich mal anmelden?

Wie auch immer: Im Weghören oder Wegschauen sind wir stark. Dieser Gedanke befiel mich, als ich beim Zappen in die „GesundheitSprechstunde“ von Dr. med. Samuel Stutz geriet. Es ging um Schmerz, und da auch ich – gewichtsbdedingt – von Knie-Arthrose betroffen bin, hätte mich die Sendung eigentlich direkt angesprochen… aber ich zappte weiter und sagte mir: Paradox ist es schon, da leben wir in einem voll medialen Zeitalter und für viele Menschen besteht „Wirklichkeit“ nur noch aus dem, was sie im Fernsehen gesehen haben, und nicht wenige werfen Samuel Stutz und seiner Sendung vor, sie würden ihr Publkikum recht eigentlich auf bestimmte Krankheiten anfixen, die sie dann auch attestiert haben möchten… Aber mit einem einfachen Klick in der Fernbedienung kann man die Sendung wegschalten, dann hat man sie gar nicht gesehen und diese Form von vermeintlicher „Wirklichkeit“ hat gar nicht stattgefunden… – Das ist, denke ich, so eine Art Notwehr gegen gesundheitliche Belästigung. Wie bei den Eltern, die ihr dickes Kind als normal einschätzen.