16/4  OP-Risiko

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:38

Das war vor über zwanzig Jahren. Ein unglücklicher Fehltritt auf einem ländlichen Bahnsteig, ein Sturz in die Tiefe aufs Gleis, nicht hoch, keinen Meter, aber unerwartet hart der Aufprall mit dem Fuss auf die Schiene, ein stechender Schmerz… ich war damals vielleicht 140 Kilo schwer.

Während der Bahnfahrt ins Ferienhaus schwoll das Fussgelenk an. Der Besuch beim lokalen Doktor brachte wenig Erhellung: wahrscheinlich verstaucht. Gut einbinden, die nächsten Tage schonen und wenns nicht besser wird, daheim zum Hausarzt. Und ein Schmerzmittel nehmen.

Der Hausarzt war besorgt und schickte mich zu den Spezialisten in den Balgrist. Die fanden heraus, dass die Achillessehne angerissen war und nun nachbehandelt werden sollte… Bei dieser Gelegenheit, sagten sie, würden sie auch gleich meine Ferse „umbauen“, einen Knochen diagonal halbieren und verkehrtherum wieder zusammenschrauben, dadurch müsste sich mein Gang stabilisieren und ich wäre künftig vor Misstritten gefeit.

Allerdings – und da bedienten sich die Medici der lateinischen Sprache, um ihren Patienten nicht allzusehr zu verunsichern – bestehe ein Operationsrisiko, solange ich so dick sei. Da ich aber dank meinen ehemaligen humanistischen Lehrkräften dem Ärztegespräch einigermassen folgen konnte, einigten wir uns bald darauf, dass ich zuerst abnehmen müsse, ehe es auf den Schragen ging.

In dreiviertel Jahren schaffte ich 28 Kilo… und siehe da: ich fühlte mich leicht, beschwingt und schwebte federnd über den Boden, die Schmerzen in der Fersengegend waren wie weggeblasen und ich verspürte keinerlei Bedürfnis mehr nach einem chirurgischen Eingriff.
Denn noch lauerte in meinem Unterbewusstsein die Angst vor dem Risiko einer Operation.

Und jetzt lese ich eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, wonach statistisch erhärtet ist, dass adipöse Patienten mit einem BMI über 40 in deutlich höherem Masse gefährdet sind, während einer Operation mit Komplikationen konfrontiert zu sein. Thrombosen, Druckstellen, schlechte Wundheilung oder Lungenentzündung sind bei Übergewichtigen deutlich häufiger. Dazu kommen „technischen“ Probleme während des Eingriffs: es braucht speziell belastbare OP-Tische, besondere Gerätschaften und Instrumente, die auch in die Tiefe wirken können… und dann gibt es auch Schwierigkeiten bei der Dosierung der Medikamente, die sich in übergrossen Körpern anders verteilen…

Dies sind Themen, die am Jahreskongress der Deutschen Chirurgen-Gesellschaft Anfang Mai behandelt werden. Tröstlich für mich ist allenfalls die Erkenntnis, dass ich vor zehn Jahren eine Meniskus-Operation am Knie trotz 165 Kilo Lebendgewicht problemlos überstanden habe. Zum Glück ist Risiko relativ.