18/12  Karten verschicken

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 18:39

Einst war die Anzahl der Glückwunschkarten, die man auf dem Fensterbord aufstellen konnte, ein Zeugnis für die Beliebtheit, derer man sich erfreute. Je mehr, desto besser. Es wurde ein Prestige-Business daraus. Ich erinnere mich an die TV-Legende Wisel Gyr: er hatte ein kleines schwarzes Büchlein, in das er all seine unzähligen statistischen Auswertungen eintrug. Darin war auch die Liste der verschickten Neujahrsbotschaften, und dahinter registrierte er in jedem Jahr säuberlich, wer sich für seinen Gruss bedankt bzw. revanchiert hatte.

In England, zumindest bei meiner Landlady, spannte man Schnüre quer kreuz und durch die Stuben, an welchen die Karten rittlings aufgehängt wurden. Auch hier galt die Anzahl als Status-Symbol. Und jedes Jahr war es in der Firma das gleiche Drama: auf Stufe Generaldirektion wurde ein Sujet festgelegt, die Karten wurden in grosser Anzahl gedruckt und den Abteilungen zum Versand abgegeben. Diese fanden jedoch das Sujet in der Regel scheusslich und deckten sich individuell mit Unicef-Karten ein… Ich hatte schliesslich den Versand auf ein absolutes Minimum reduziert, auf die zurückhaltende Beantwortung von Karten, die ich zugeschickt erhalten hatte.

Aber dann kam die Schwemme der singenden Elche, der hüpfenden Rentiere und der sackschwingenden Santas, die aus dem Bildschirm schwappten: Sie haben eine elektronische Postkarte! meldete der E-Mail-Bote, und wenn man sie öffnete – sofern das richtige Programm schon installiert war – ging das Gezirpe und Geplärre und Geflimmer los… – Heute verschwinden die meisten dieser Versände wohl in den Abgründen der Spam-Filter, so dass nicht nur die Beantwortung entfällt, man muss dann nicht einmal mehr wissen, ob jemand an einen gedacht hat oder nicht.

So sympathisch und emotional angenehm ein vertraulicher, persönlicher Kartengruss sein kann – wenn sie zur industriell gefertigten Landplage werden, seriell produziert und vertrieben, verlieren sie ihren Charme. Obwohl: letztlich freut man sich ja wohl doch über das Lebenszeichen.