16/2  Biedermann und das Fett

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:59

Max Frisch hat das Stück vor fünfzig Jahren geschrieben und es handelt vom Herrn Biedermann, der in seinem Hause einigen zwielichtigen Gestalten Unterschlupf gewährt, sich mit ihnen gut zu stellen versucht, obwohl er weiss oder ahnt, dass es sich um Brandstifter handelt, in der Hoffnung, er könnte dadurch einem Anschlag entgehen, was sich aber als Irrtum erweist.

An diesen Theaterstoff musste ich denken, als ich im Rahmen des St. Galler Adipiositas-Symposiums dem Vortrag von Dr. med. Stefan Bilz zuhörte. Es ging um die Pathophysiologie der Adipositas und des mtabolischen Syndroms und um die Frage nach dem Einfluss der Genetik und des Lebensstils. Ein wesentlicher Teil des Referates galt dem Bauchfett, auch viszerales Fett genannt, das weit mehr ist als eine sich auf der Waage bemerkbar machende Ansammlung von Zellen, welche eigentlich als Energiereserve für magere Zeiten dienen sollten (wie beim Bär im Winterschlaf), sondern das mittlerweile erkannt ist als quasi ein „Organ“ mit eigenen organischen Aktivitäten: das Fett produziert eine Vielzahl von Hormonen, die sich einerseits auf den Stoffwechsel auswirken, die anderseits aber auch begleitende Krankheiten auslösen und beeinflussen können

Die Pölsterchen, die sich da so scheinbar harmlos um unsere Innereien schmiegen, entwickeln in aller Heimlichkeit ein Eigenleben, nehmen Besitz von unserem Körper, machen sich bemerkbar auf verschiedene Weise und entpuppen sich als richtige Egoisten, die auf ihr eigenes Wohlergehen, ihren Vorteil bedacht sind und uns auf sanfte Weise dazu bringen, für Nachschub zu sorgen. Dieses Fett stellt den eigentlichen Risikofaktor für die meisten der Begleiterkrankungen dar. Die Wahrscheinlichkeit, dass man von ihnen betroffen wird und dass sie zum Ausbruch kommen, steigt mit zunehmendem Gewicht bzw. Bauchumfang.

Und da sind wir dann in der Lage des guten Gottfried Biedermann: es nützt nichts, wenn wir uns mit unserem Fett arrangieren, wenn wir pfleglich mit ihm umgehen, wenn wir es bei Laune zu halten versuchen… es hat nur diesen einen Instinkt, den die Natur ihm eingegeben hat, und der sich für uns über kurz oder lang schädlich auswirken kann. – Es ist, als würde da in uns eine Fettbombe ticken… harmlos und freundlich gibt sich die Masse zunächst… vielleicht ist der Countdown schon programmiert, wir wissen es nur noch nicht. Und es ist kein James Bond in der Nähe, der mit einer freinen Zange in der vorletzten Sekunde die Drähte am Zündmechanismus durchtrennen könnte und auch noch weiss, ob der rote oder der blaue der richtige ist.

Wir sind weitgehend auf uns selber angewiesen, beim Versuch, die Masse in ihre Schranken zu weisen. Und wir wissen zugleich, dass es ein lebenslanger Kampf sein wird, denn das „Fett-Organ“ ist hartnäckig, es vergisst nicht und es kennt uns so gut, dass es uns jederzeit wieder austricksen und überlisten kann. In acht von zehn Fällen mit Erfolg.