12/4  Oratorium

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:08

Im Fernsehen läuft ein biografischer Film über Georg Friedrich Händel. Was mir gefällt sind die Szenen, in denen er, geniesserischer Bonvivant, zu Tische sitzt und mit Freunden die Freuden des Tafelns geniesst. Auserlesene Speisen, die besten Weine, gekühlt mit aus den Alpen herbeigekarrtem Gletschereis… so mag man das gute Leben genossen haben im London der damaligen Zeit, wo er – dies eine der Botschaften des Films – der erste „Pop-Titan“ der Musikgeschichte gewesen sei.

Sein üppiges Schlemmen habe dazu geführt, sagen die Kommentatoren mit einer coolen Selbstverständlichkeit, dass der Meister adipös geworden sei, fettsüchtig, mit so dicken Fingern, dass er kein Instrument mehr habe spielen können. Und als in der Folge eines Schlaganfalls sich erste Lähmungserscheinungen einstellten, habe er sich in Kur begeben, in ein Schwefelbad in Deutschland, wo man ihn teilweise wieder herstellen konnte… Sein gesundheitliches Hauptproblem blieben danach seine Augen, die Sehkraft liess nach, der Star stellte sich ein und wurde nach damaligen Brauch durch einen Okulisten gestochen, allerdings mit der fatalen Folge, dass die Eingriffe schliesslich zum gänzlichen Verlust des Augenlichts führten.

Ich bin kein Spezialist in klassischer Musik und von den Oratorien kenne ich nur die Schöpfung von Joseph Hayden, weil wir diese im Gymnasium zu singen hatten, als gewaltiger Chor unter Leitung des Singlehrers, dessen Aufführungen oratorischer Werke im Casino-Saal damals Legende waren… Verzweiflung, Wut und Schrecken… schmetterten wir durch den Raum und die Emotionen prägten sich deshalb so bleibend ein, weil wir eng an eng auf den Arena-Stufen sitzen mussten, die vordere Person jeweils an die Unterschenkel des hinter ihr Sitzenden gelehnt, und wenn es das Geschick gütig meinte, traf es sich, dass vor meinen Knien eine meiner angebeteten Schönheiten aus einer Parallelklasse sass, so dass sich stille aber intensive Berührungen ergeben konnten, die mitgetragen wurden vom machtvollen Brausen der Oratoriums-Klänge, und die in der Erinnerung noch lange nachhallten… bis heute unvergessen sind. Wir waren junge Menschen damals, geprägt von einem gymnasialen Humanismus, und noch ohne Facebook, SMS oder Friedfinder… aber die Wucht der Musik verband unsere Seelen und Körperteile vorübergehend, auch wenn das nicht allen in gleicher Weise bewusst war.