29/1  Gegen Diskriminierung

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:41

Am Rande der Gesundheitsförderungs-Konferenz habe ich mich letzte Woche auch kurz mit einer Vertreterin einer Krankenkasse unterhalten. Mir ging es darum, auf die „Ungerechtigkeit“ hinzuweisen, die in der Tatsache besteht, dass die Kostegutsprache der Kassen für chirurgische Eingriffe bei starkem Übergewicht einer extrem harten gesetzlichen Regulierung unterliegen.

Die Kosten werden von der Kasse nur übernommen, wenn der Patient noch nicht 60 Jahre alt ist (was angesichts der ständig steigenden Lebenserwartung ja schon bald kein „Alter“ mehr ist), wenn der BMI mindestens 40 beträgt und wenn vorgängig während mindestens zwei Jahren alle Versuche, auf „konventionelle“ Weise mit Ernährungsumstellung und Bewegung abzunehmen, ohne Erfolg geblieben sind.

Bei keinem anderer medizinischen Befund wird die lebensrettende Therapie durch solche Auflagen bestimmt: Vom Raucher mit Lungenkrebs verlangt man nicht, dass er zuerst zwei Jahre nicht mehr raucht, ehe man ihn operiert; dem Aids-Kranken wird nicht vorgehalten, er sei an seinem Zustand selber schuld und hätte ihn vermeiden können, wenn er nur gewollt hätte; das Unfallopfer, das angetrunken am Steuer sass, wird in der Intensivstation aufgenommen und gepflegt ohne langwierige Antragsstellung und Begutachtung durch den Vertrauensarzt der Kasse…

Aber der Adipöse, der ein Leben lang verzweifelt mit seinem Gewicht gekämpft hat, dessen Lebenserwartung durch Folgekrankheiten verkürzt ist und der mit schweren sozialen Beeinträchtigungen leben muss, der soll – wie es der Sprecher von Santésuisse einmal formuliert hat – davor bewahrt werden, dass er sich leichtfertig unters Messer legt… – Viel zynischer geht es wohl nicht mehr.

Die bariatrische (oder Adipositas-) Chirurgie hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Es gibt Langzeit-Auswertungen, die den nachhaltigen Erfolg belegen und die auch zeigen, dass ein operativer Eingriff in bestimmten Fällen gesundheitsökonomisch „günstiger“ ist als eine lange Abfolge anderer Massnahmen mit hoher Rückfallquote.

Das Thema ist noch nicht ausdiskutiert und wir müssen es immer wieder ins Gespräch bringen, denn auch hier bestimmen oft vorgefasste Meinungen das praktische Handeln… Das ist mir durch den Kopf gegangen, als ich heute einen Bericht las, den unsere US-Schwester-Organisation AOA, die Amerikanische Adipositas-Organisation, vor einem guten Jahr an die oberste Gesundheitsbehörde gerichtet hat. Es bleibt noch viel zu tun.