27/5  Auf Leben und Tod

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:53

Das hat mich heute extrem betroffen gemacht, als ich den SonntagsBlick gesehen habe. Dass 30 Mord-Drohungen gegen Frau Humbel ausgesprochen worden seien, im Zusammenhang mit ihren Aussagen zum Krankenkassen-Selbstbehalt. Egal wie fragwürdig oder unhaltbar ihre Forderung ist: ein solches Verhalten ist unentschuldbar und darf nicht toleriert werden.

Wohl wahr, ich habe von Betroffenen vor einer Woche schon den Satz gehört: „Der könnte ich den Hals umdrehen…“ Aber es ist nicht das gleiche, die Person oder Angehörige ihrer Familie direkt und frontal anzugehen, wenn es dann noch telefonisch oder anonym erfolgt. Das dürfen wir nicht hinnehmen, was immer auch am Anfang gesagt worden ist.

Und doch hat meine Betroffenheit noch eine zweite Ebene. Ich will damit die Drohungen weder banalisieren noch verharmlosen. Aber sie sind für mich – bei aller Unentschuldbarkeit – auch ein Signal für die grosse Verzweiflung und die tiefe Verletzung von Menschen, die ihr Leben lang, seit frühester Kindheit wegen ihres Übergewichts verlacht, ausgegrenzt und gedemütigt worden sind, die Spott und Häme einstecken mussten und immer wieder gegen sich selber angekämpft haben, allenfalls von wohlmeinenden Ratschlägen begleitet, aber letztlich doch ohne Erfolg.

Sich nach einer solchen Leidensgeschichte vorhalten lassen zu müssen, man habe seine Situation mutwillig selber verschuldet und solle dafür zur Kasse gebeten werden, das schmezt und löst Wut aus, die sich nur schwer kontrollieren lässt. Ich bedauere, dass es zu Drohungen gekommen ist, aber ich kann die Emotionen nachvollziehen, die dahinter stehen.

Angesichts dieser lebensbedrohenden Auseinandersetzung kam es mir dann wie der blankste Zynismus vor, als ich am späten Abend auf dem TV-Sender Kabel 1 die Dokumentation vom „grossen Fressen“ gesehen habe: ein Lokal, das darauf spezialisiert ist, bis zu zwei Kilo schwere Wiener Schnitzel zu braten, anderthalb Kilo schwere Steaks, ein Kilo schwere Hamburger… und wo bis zu tausend Gäste täglich diese Riesenportionen in sich hineinstopfen, bis ihnen schlecht wird. Hier müsste ein alttestamentarischer Racheengel – meinetwegen im Ruth Humbel-Kostüm – mit dem flammenden Schwert einfahren und die sich der Völlerei dergestalt Hingebenden zur Räson bringen… aber der TV-Blick auf die Szene zeigt: es sind nicht die Dicken, die hier so speisen, sondern zu allermeist Leute, die aussehen, als wären sie normalgewichtig… einstweilen noch.


Ein Kommentar zu “Auf Leben und Tod”

  1. sadaka sagt:

    Die Morddrohungen gegen Frau Humbel sind tatsächlich unentschuldbar. Das unsere moderne Gesellschaft immer fetter wird, ist aber ebenso unentschuldbar(…)

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