23/6  Schicksalsgemeinschaft

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:37

Im Speisesaal sitzt man in der Regel zu viert oder zu sechst an einem Tisch. Der Tisch hat eine Nummer, und die ist fix zugeteilt für die ganze Dauer des Aufenthalts. Ich sitze an Tisch 37, ein Männertisch. Es herrscht Geschlechtertrennung, was die Sitzordnung betrifft. Sonst bin ich mir nicht so sicher. In der Toilette gibt es einen Kondom-Automaten.

Als ich eingetreten bin, vor nunmehr zehn Tagen, sassen an „meinem“ Tisch zwei „alte“: Hans und Roland, und mit mir kam ebenfalls ein zweiter Hans neu dazu. Wir tauschten unsere Geschichten aus, so weit das nötig war, um zu wissen, warum wr da sind. Der „alte“ Hans, ein Burnout-Patient, verliess uns nach einer knappen Woche, sein Aufenthalt war zu Ende. Da waren wir noch zu dritt. Vorgestern hatte Roland seine Kur beendet und der „neue“ Hans speist ebenfalls seit vorgestern vorne im Restaurant bei den à-la-carte-Gästen, da seine Frau ihn besucht und hier Hotelferien gebucht hat… So dass ich vorübergehend allein an meinem Tischlein sass.

Seit gestern ist mir ein neuer Tischnachbar zugeteilt. Verschlossen anfänglich, eher wortkarg. Alfred heisst er, bzw. steht auf seinem Kärtchen. Die ersten Mahlzeiten haben wir kaum mehr als einen Satz gewechselt. Heute ist er aufgetaut. Hat über den komplizierten Eingriff berichtet, der ihm in letzter Minute das Leben gerettet hat, über die Tage, die er im Koma lag und über das Glück, dass man ihn zweimal wieder „zurückholen“ konnte… So ist plötzlich an unserem temporären Zweiertisch eine spontane Gemeinschaft entstanden. Beide haben wir die Erfahrung gemacht, dass es beinahe zu spät hätte sein können und dass uns die Kunst der Ärzte so etwas wie ein „second life“ geschenkt hat.

Unser Tisch seht in der Mitte des kleineren Saals, man hat einen guten Überblick und kann das Kommen und Gehen beobachten, wenn zum Selbstbdienungsbüffet geschritten wird. Man nickt sich zu, wünscht „en Guete“ und registriert heimlich, wie manches Stück Brot und wie viele Butterprotionen der eine oder die andere auf ihrem Tellerchen zurückbringen… Erst beim Kaffe, im Aufenthaltsraum, oder im Restaurant, kann man sich neu gruppieren. Jetzt tauscht man die Tageserfahrungen aus oder erklärt den Neuen, wie der Laden läuft. Mit der Zeit hat man die meisten mit Namen kennenglernt, man war mit ihnen zusammen in der Gymnastik, beim Atemtraining, auf dem Spaziergang oder hat vor dem Arzt-Zimmer gewartet… Alle verbindet der Grund für ihr Hiersein, man nimmt Anteil an fremden Schcksalen und erfährt zugleich, dass man mit dem, was man erlebt hat, nicht allein ist. Das tut gut.


Ein Kommentar zu “Schicksalsgemeinschaft”

  1. Auch in Thüringen wird an Sie gedacht

    Nun habe ich mich 2 Tage nicht gemeldet und will es jetzt gleich nachholen.
    Die Tischordnung finde ich ziemlich blöd. In Bad Colberg gab es so etwas nicht, aber wenn ich so richtig darüber nachdenke, ist es auch nicht schlecht, so hat man wenigstens einen Sitzplatz nach dem Gedränge am Büffet. Mir würde es trotzdem nicht gefallen allein zu sitzen.

    Ich habe zur Zeit ein wenig Stress, na ja, wie immer selbstgemachter Stress. Ich konnte für ein Logofoto meiner Website nicht die eindeutigen Rechte bekommen und jetzt langt es mir noch nicht einmal mehr nur das Foto auszutauschen. Nein ich stelle die Website noch einmal komplett um und versuche sie barrierefrei zu machen, deshalb habe ich mich auch die letzten 2 Tage nicht bei Ihnen gemeldet. Ich bin schon voll in den Vorbereitungen.
    Doch nun genug erzählt. Ich hoffe Sie haben einen schönen Sonntag verlebt.

    Bis zum nächsten mal grüßt Sie freundlich
    Claus Kühr

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