12/12  Kein gutes Zeugnis

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:25

Wie war das doch damals, als wir am Ende des Schuljahres mit roten Ohren heimwärts trabten, im Seehundfelltornister neben den Heften und Büchern das kleine, sorgfältig eingebundene Büchlein, in das die Lehrerin mit druckgleicher Schönschrift auf jeder Zeile eine Note eingetragen hatte: 6, 6, 5, 6… nur beim Turnen eine Vier… Und es war klar: zuhause wollen alle wissen, wie man abgeschnitten hat und je nachdem gibt es Lob oder Tadel, ein kleines Geschenk vielleicht.

Das Zeugnis-Büchlein wurde in hohen Ehren gehalten, vorsichtig umgeblättert, die Seiten fasste man am Rand mit Fingerspitzen sorgfältig an, damit es ja nirgends einen Fleck geben konnte. Und wenn Vater oder Mutter ihre Unterschrift auf die Seite setzten, so musste das in feierlicher Stimmung geschehen, im Wissen um die Bedeutung des Dokumentes, das über die spätere berufliche Zukunft entscheiden konnte, davon waren wir damals überzeugt. Und wenn ich später, in der kurzen Periode, in der ich selber einem Lehrkörper angehörte, meine Noten in die Heftchen eintrug, überkam mich zuweilen ein ehrfürchtiges Gefühl der Verantwortung, die ich – mit andern – trug für das spätere Geschick eines jungen Menschen. Das hielt auch noch an, als an die Stelle des gebundenen Büchleins, bei unseren eigenen Kindern, die mit dem Schulcomputer ausgedruckten Blätter traten.

Eine neue Dimension von Zeugnis lernte ich heute optisch kennen: die REPORT CARD einer amerikanischen Public School in Florida, welche die Schüler vom Kindergarten bis zum Abschluss begleitet und in der die ganze schulische Karriere der Jugendlichen abgebildet ist. Die Titelseite gehört fast vollständig dem Sponsor: einem nicht ganz unbekannten FastFood-Anbieter, der den Jugendlichen, integriert ins Zeugnis, die Belohnung für gute Leistungen und Fleiss in Aussicht stellt: wer lauter gute Noten hat und nicht mehr als zwei Absenzen, und nie zu spät gekommen ist, der kriegt ein Gratis-Happy-Meal… aber das Glück ist begrenzt. Pro Zeignisperiode gibts nur ein einziges glückliches Mahl pro SchülerIn, und auch das muss innerhalb von 30 Tagen nach Quartalsende bezogen sein.

Soll man jetzt nörgeln und den Kids die kleine Freude vermiesen? – Nein, natürlich nicht. Die eine Mahlzeit pro Quartal schadet sicher nicht… aber die REPORT CARD von Florida ist ein exemplarisches Beispiel für den Wert und den Nutzen der „freiwilligen Massnahmen“, wenn es darum geht, Kinder und Jugendlichbe vor unerwünschter Werbung zu bewahren. Dazu hat sich die US-Foodindustrie – freiwillig – verpflichtet. Offenbar ist die Einhaltung der Verpflichtung auch freiwillig.


Ein Kommentar zu “Kein gutes Zeugnis”

  1. nada sagt:

    für ein selbstbildnis
    da bewundere ich die
    fein ausgeführte
    strickdicke

    auch
    wenn das eine tampenende so
    tuchartig über ne schulter baumelt.

    der zug vorn: b om ba s tisch

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