28/4  Disziplinierter Widerspruch

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 19:33

Als eBalance-Abonnent habe auch ich heute meinen wöchentlichen Motivationsbrief vom eBalance-Expertenteam bekommen. Aber er hat mich nicht so richtig zu motivieren vermocht. Zu oft ist mir darin die Sache mit der Disziplin vorgekommen, verbunden mit der unterschwelligen Botschaft, wenn ich es nicht (endlich) schaffe, richtig abzunehmen, so sei ich daran einzig und allein selber Schuld, weil mir die Selbstdisziplin fehlt.

Es liegt mir fern, die eBalance-Experten kritisch zu hinterfragen, das steht mir auf keinen Fall zu. Aber ich höre dieses Lied bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, wenn ich etwa ein Referat halte vor Rotariern oder so, dann steht immer am Schluss einer auf und sagt im Brustton der selbstsicheren Überzeugung, er wisse gar nicht, was ich da überhaupt wolle und warum ich meine, das mit dem Übergewicht sei ein Problem für die Volksgesundheit: wenn die Leute nur richtig wollen würden und die nötige Disziplin mit der nötigen Energie verbinden würden, dann wären sie schlank und rank, so wie er, er sei nun schon siebzig und stehe jeden Morgen um 5 Uhr auf und laufe vor dem Frühstück über eine Stunde lang…

Wenn es so einfach wäre, warum ist dann überhaupt noch jemand dick? Wenn es so simpel nur eine Frage der richtigen Einstellung und des Willens wäre, warum beträgt die Rückfallquote dann 85 Prozent im Schnitt aller Gewichtsreduktionsprogramme? – Wille und Disziplin sind gut und überhaupt nicht zu verachten, sie sind sehr hilfreich auf dem Weg zu einem persönlichen Ziel. Aber vielfach ist die private Lebens-Situation eben komplexer, braucht es individuelle Unterstützung und Hilfe, braucht es Begleitung und Zuspruch…

Ich weiss, einige berühmte Zeitgenossen sind nur deshalb markante Persönlichkeiten geworden, weil ihre Jugend unter einem unglücklichen Stern stand, weil sie von ihren Erziehern systematisch fertig gemacht wurden, so dass sich ein trotziger Dennoch-Überlebenswille entwickelt hat, mit dem verzweifelten Vorsatz, „es denen zu zeigen“! Wenn dieser Mechanismus auch bei Übergewicht funktionieren würde, wären mehr Menschen erfolgreich in ihrem Bemühen, abzunehmen. – Trotzdem wünsche ich den geneigtgen Mit-eBalancerInnen die richtige Mischung aus Gelassenheit, Ehrgeiz und Selbstbewusstsein.


Ein Kommentar zu “Disziplinierter Widerspruch”

  1. Martha E. sagt:

    Sehr geehrter Herr v. Grüningen,
    danke für Ihren Widerspruch!
    Haben Sie schon einmal zusammengezählt, wie viele Kilos Sie insgesamt im Laufe Ihres Lebens schon abgenommen haben? Ich habe vor meiner Magen-Bypass Operation diese Rechnung aufgemacht und festgestellt, das ich mehr als mein höchstes Gewicht (144 kg..) abgenommen habe. Als ob das ohne Disziplin möglich wäre…
    Man muss wohl den eBalancern – vor allem aber den Besserwissern aller Fachrichtungen – immer wieder ins Stammbuch schreiben, dass genetische Prägung, die Auslegung unseres Stoffwechsels und unsere „Steinzeitmensch“-liche Überlebensprogrammierung doch eine viel wesentlichere Rolle spielen, als sich Hans Muster oder Hausarzt Meier träumen lassen.
    Vielleicht sollte man aber eine ganz andere, absolut ketzerische Frage stellen: nämlich die nach der MOTIVATION aller dieser ranken und schlanken Helfer, die nie im Leben ein Gramm zuviel auf dem Waschbrettbauch oder den Sixpacks hatten.
    Diese Helfer können nämlich viel „raumgreifender“ und „Platz-einnehmen“-der sein als der dickste Zeitgenosse/die dickste Zeitgenossin. Es ist der untergründige Machtanspruch in der „therapeutischen Besitzergreifung“, der im Mäntelchen des/der wohlwollenden Experten/tin daherkommt. Vielleicht steht aber nur ein vage gebliebenes Körperbild dahinter.
    Vielleicht ist es aber auch ganz anders…. Ich jedenfalls bin allergisch gegen „dünne“ Adipositasexperten. Und ich bin froh, dass Sie immer wieder in unser aller Namen protestieren und die Dinge zurecht rücken!!!

    Mit herzlichem Gruss

    Martha E.

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