9/5  Amsterdam (4)

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:58

Am letzten Vormittag noch ein Experten-Streitgespräch: Ist Adipositas eine Essstörung? Das ist die Frage. Eine Professorin vertritt diese Meinung, ein Professor hält dagegen. Der Laie sitzt im Auditorium und kratzt sich am Kopf. Was soll die Entweder-Oder-Fragestellung? Da haben doch beide auf ihre Art recht… aber nicht exklusiv! Essstörungen können eine der Ursachen für Adipositas sein, müssen aber nicht zwingend. Und es kann für die Therapie von entscheidender Bedeutung sein, zu erfahren, warum das Essverhalten des Betroffenen so ist wie es ist, um bewusst damit umgehen zu lernen…

In der Pause spricht mich eine schwer adipöse Dame an. Unsere Blicke sind sich im Saal schon begegnet. Sie fragt mich – von dick zu dick, wie sie sagt – ob ich denn auch so froh wäre, dass mir endlich jemand die Ratschläge erteilt, die mir bisher gefehlt hätten. Und ich antworte, dass mir das reiche Wissen der Menschen, die drauskommen, so richtig gut tue, um mich aus meiner Unwissenheit zu befreien… wir lachen und es stellt sich heraus, dass sie die Präsidentin des holländischen Adipositas-Vereins ist, eine Kollegin also, und wir tauschen unsere Adressen aus, auch sie ist an der Schaffung eines Netzwerks interessiert.

Ein ungewohnter Abschluss gegen Mittag: da wird eine neue chirurgische Methode präsentiert, noch wenig erprobt und wir wissen nicht, was wir davon halten sollen: mit einer Sonde wird ein etwa 50 cm langer „Schlauch“ aus einem Kunststoffgewebe durch den Magen in den Zwölffingerdarm eingeführt, die Endo-Barrier. Mit einer Art Krone wird dieser Schlauch hinter dem Magenausgang verankert, so dass der Speisebrei aus dem Magen durch den Schlauch gelangt, ohne die Seitenwände des Zwölffingerdarms zu berühren. Dadurch setzt die Verdauung erst viel Später im Darm ein und es tritt ein ähnlicher Effekt ein wie bei einem Magen-Bypass, bloss ohne „Operation“. Diese Technik könne im Vorfeld einer Operation angewendet werden, Nachteil: alle 3-6 Monate muss der Schlauch ausgewechselt werden.

Auch Nicola Scopinaro tritt auf. Der Italiener gilt als Doyen und „Vater“ des Magenbypasses, er berichtet über die positiven Erfahrungen mit diesem Eingriff bei Menschen mit Diabetes Typ 2, auch wenn diese nicht wirklich übergewichtig sind. Hier tut sich für die Chirurgie ein neues Feld auf, wenn die Versuche beweisen, dass die Kosten dieser Operation nur einen Bruchteil des Aufwandes ausmachen, der für eine lebenslange Diabetes-Behandlung zu leisten wäre…

Viele Themen wurden angeschnitten und wir machen uns auf den Weg zurück, jeder in seinen Alltag.