15/6  Martina und das Wunderbuch

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 16:05

Vor einiger Zeit habe ich über den – bis dato wenig bekannten – Analog-Käse geschrieben. Das ist eine künstlich hergestellte Masse aus Fett, Wasser. Proteinpulver und Aromen, die käseähnliche Eigenschaften hat und zunehmend bei Tiefkühl- und Fertigprodukten verwendet wird. Meine und auch die Meinung der VerfasserInnen entsprechender Bemerkungen war klar, dass das Naturprodukt solch synthetischer Lebensmittel-Panscherei allemal vorzuziehen sei…

Nun belehrt mich der deutsche Vegetarierbund eines Andern: er begrüsst ausdrücklich die Verwendung des künstlichen Produktes, denn es sei „gesünder, schont die Tiere und entlastet das Klima“. Vor allem (was mir nicht bewusst war) wird der (natürliche) Käse als ein richtiger Feind des Kyoto-Protokolls entlarvt: er verbraucht mit 8,35 kg CO2-Äquivalenten pro Kilogramm Produkt fast doppelt so viel wie Fleisch und 50 mal so viel wie Gemüse! Zudem käme der synthetische Käse-Ersatz all jenen entgegen, die an Laktose-Intoleranz leiden oder eben aus ökologischer Überzeugung Vegetarier oder gar Veganer seien. Darauf muss man erst kommen.

Am Rande dieses Artikels habe ich dann noch – unter der Rubrik mit den Google-Inseraten – einen Link gefunden mit dem interesseweckenden Titel: „Jetzt gesund Abnehmen“. Wollen wir das nicht alle? Auf die eine oder andere Weise? Ich habe die verlockende Zeile angeklickt und bin auf das Bild einer hübschen Dame gestossen und den fetten Hinweis: „Dies ist kein neuer Diäten-Schwindel oder -Betrug“. – An sich müsste einen ja eine solche Formulirung von allem Anfang an stutzig und skeptisch machen: wer sich so einführt, verbirgt in der Regel die wahre Absicht. Getrieben von beruflichem Wissensdurst habe ich mich dann durch die vielen Zeilen gescrollt… und gelesen, überflogen, gelesen… und wurde aus dem Ganzen nicht so recht schlau. Bald war klar, dass es um ein Buch ging, das es zu kaufen gibt. Und dass in diesem Buch die einzige, ultimative und letzte Erkenntnis stehen würde, die es mir erlaubt, ohne jede Einschränkung und bei vollem Essensgenuss abzunehmen, soviel mir beliebt.

Der Text ist durchsetzt mit lobpreisenden Brief- und E-Mail-Zeugnissen von Menschen, die sich das Buch gekauft und damit erfolgreich abgenommen haben wollen. Die Autorin selber hat 20 Kilo geschafft und ihr Gewicht seit 17 Jahren gehalten… – Worin genau ihr geheimes Wissen bestehen könnte, das geht aus den vielen Zeilen nicht hervor. Dafür müsste ja erst das Buch gekauft werden. Ich habe mir dann mal – aus Gwunder, wie wohl die meisten – einen sogenannten einführenden „Gratiskurs“ abonniert. Man will ja schliesslich wissen, womit man es zu tun hat. Und das Lesen eines Online-Textes ist auf alle Fälle weniger riskant, als wenn ich eine neue Pille ausprobieren würde, über deren Zusammensetzung und Wirkungen mich der Hersteller mit wohlklingenden Anpreisungen im Unklaren lässt… – So bekomme ich nun in den nächsten Tagen von „Martina“ häppchenweise weitere Anreize, mir vielleicht doch noch ihr Buch zu bestellen. Mit 90 Seiten A4-Umfang kostet es (zum selber Herunterladen und Ausdrucken) 79 Schweizer Franken, dazu gibt es ein 40-seitiges Heft mit Tipps gratis. Das ist weniger als eine Einsteiger-Packung irgendwelcher dubioser Schlankheitspillen in der Regel kostet. Was es in der Praxis wert ist, kann man erst beurteilen, wenn man es in der Hand hat. Aber das ist bei allen Ratgeber-Büchern so, wobei diese meistens umfangreicher und billiger sind.

Wenn 1000 Interessierte („nur mal so, um zu schauen“) das Ding bestellen, hat Martina 80’000 Franken eingenommen, ohne jeglichen Produktions- oder Versand-Aufwand. Was immer das Angebot ist: Dicke sind eine exzellente Geldquelle.

PS: Oder hat es jemand schon bestellt und könnte uns das Geheimnis verraten?