14/2  A propos Popo

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:43

Meine Mutter war nicht richtig dick. Sie war klein und wohl im Alter etwas füllig. Sie ernährte sich „gesund“, bewegte sich regelmässig, liebte das Taulaufen mit nackten Füssen (das konnte man damals noch, dort wo wir wohnten). Eine Körperpartie bekam sie aber offenbar nicht in den Griff, das waren ihre Hüften. Wenn immer ich neue Kleider brauchte und wir in den PKZ gingen (das war ihr bevorzugtes Geschäft, wo es die sogenannte „Masskonfektion“ gab, d.h. man wurde nach einem bestimmten Schema vermessen und dann wurde die Kleidung zwar „nach Mass“, aber zu Konfektionspreisen angefertigt), also wenn dort an mir Mass genommen wurde, so sagte sie immer entschuldigend zum Schneider: „Er hat halt einen Moosberger-Hintern!“ (Was so viel sagen will wie: Um die Hüften kommt er nach mir…)

Für diesen Spruch meiner Mutter habe ich mich in Grund und Boden geschämt, aber ich hätte es nicht über mich gebracht, ihr das auch zu sagen. Eltern wissen oft nicht, was sie ihren Kindern antun, wenn sie sich in der Öffentlichkeit abfällig oder kritisch über sie äussern. Diese Erfahrung macht im Moment auch die amerikanische First Lady im Weissen Haus. Sie hat es sich zum persönlichen Anliegen gemacht, den Kampf gegen kindliches Übergewicht aufzunehmen. Und um der Nation glaubwürdig zu erscheinen hatte sie diskret darauf hingewiesen, dass ihre eigenen Kinder ein Gewichtsproblem hätten. Lange habe sie, liess sie sich zitieren, nicht realisiert, dass dem so sei.

Nun fällt ein Teil der amerikanischen Öffentlichkeit über sie her: Darf man einen Makel seiner Kinder öffentlich machen? Die einen verurteilen sie deswegen, die andern loben sie… Sie sei in eine Doppelfalle geraten, wird in Blogs moniert, wie immer sie es auch gemacht hätte, wäre sie dafür kritisiert worden. Hätte sie nicht über ihre Kinder gesprochen, wäre ihr vorgeworfen worden, in eigener Sache blind zu sein und ihre Glaubwürdigkeit hätte gelitten. Nun kritisiert man sie, weil sie ihre Kinder öffentlich stigmatisiert habe und somit ein schlechtes Vorbild für andere Eltern sei.

Für mich war damals mein Hinterteil kein Problem: bis in die Rekrutenschule hatte ich einen BMI von 19,3 und war somit leicht untergewichig. Aber ich genierte mich dafür, dass meine Mutter offenbar ein eigenes „Problem“ auf mich projizierte. Als sie starb war ich 23. Ihre Beratung beim Kleiderkauf habe ich trotzdem vermisst.