2/7  Frei-Ess-Anlage

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 8:25
Als mein Grossvater kurz nach der Wende zum vorigen Jahrhundert nach Paris reiste, um als Arzt direkt ab Fabrik ein Automobil zu kaufen – er hatte berechnet, dass dessen Kosten für Betrieb und Unterhalt auf Dauer günstiger kämen als das Pferdegespann, mit dem er zu seinen Patienten gefahren war -, da gab es noch weit und breit keine Tankstellen. Der Treibstoff namens Gasoline musste in der Apotheke gekauft werden.

Heute fahren wir nicht nur auf der Autobahn zu modernsten, multifunktionalen Energie-Versorgungs-Zentren, an denen neben Benzin und Diesel vielfach auch Erdgas und elektrischer Strom getankt werden können. Aber das ist nicht alles. Praktisch alle Tankstellen verfügen über einen angeschlossenen Shop mit einem umfassenden Lebensmittel-Sortiment und mehreren Laufmetern an Süsswaren und Schleckzeug. Das Rund-um-die-Uhr-Angebot entspricht offenbar einer Nachfrage, wie die vehementen Proteste zeigten, die aufgeflammt sind, als der Verkauf zu gewissen Zeiten eingeschränkt wurde.

Nicht alles, was im Tankstellen-Shop gekauft wird, dient der Verpflegung der Familie im Heim: Manches wird schon unterwegs, während der Fahrt verputzt. Und zwar nicht wenig, wie eine Untersuchung in England gezeigt hat. Wer regelmässig im Auto unterwegs ist, der nimmt beim Fahren pro Woche im Schnitt 4’000 Kalorien zu sich, meist in Form von Knabberwaren, Schokolade, Chips, Nüsschen etc.

Abgesehen davon, dass diese Zusatznahrung pro Woche mehr als ein halbes Kilo auf den Rippen ablagert, kann der Essensvorgang auch eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellen. Wer das Steuer beim Öffnen der Chipspackung herumreisst, wer am Boden nach einem heruntergefallenen Schokoladestück sucht, wer das Lenkrad loslässt, um eine Drinkflasche zu öffnen, der begibt sich unweigerlich in eine Risiko-Situation, je nach Verkehrslage.

Beim Telefonieren am Steuer ist der Gesetzgeber unerbittlich: Wer keine Freisprechanlage hat, wird gebüsst, denn alles andere ist verboten. Ich plädiere keineswegs für ein Essverbot beim Fahren, dazu geschieht es mir selber zu oft, dass ich nach dem Tanken der Versuchung erliege… Fast die Hölfte der befragten britischen Automobilisten gaben an, sie würden im Auto aus Langeweile essen. Bei mir ist es eindeutig der Glust, seltener ein echtes Hungergefühl. – Was aber wäre ein sinnvolles Pendant zur Freisprech-Anlage?

Es gibt eins: Die fürsorgliche Beifahrerin, die die Schokoladentafel in mundgerechte Bissen teilt und dir diskret ein Teilchen zuschiebt, ohne dass du den Blick von der Strasse nehmen musst… die eine Dattel aus dem Päckchen klaubt und sie dir in den Mund steckt, die den Deckel von der Flasche schraubt, wenn du Durst hast. – Es lebe die Partnerschaft. Dicker wirst du auch so.