25/7  Überdruss

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 19:42

Für uns Kinder war es das Grösste, wenn wir in den Ferien beim Bäcker nebenan in der Backstube aushelfen durften. Eine grosse Hilfe waren wir wohl nicht. Wir tobten auf den Mehlsäcken im Lager herum, verrichteten kleine Besorgungen, kratzten Kuchenbleche sauber oder reinigten kleinere Gerätschaften… und toll war, dass wir vom „Verbrochenen“ naschen konnten, soviel wir wollten, ehe es in die Schraps-Mühle kam und zu Rohmasse für die Studentenschnitten verarbeitet wurde.

Diese Schraps-Maschine – zwei Walzen, die unter hohem Druck gegeneinander gepresst wurden und alle misslungnen Bäckereiwaren zu einem feinkörnigen Brei zerrieben – war für uns gleichzeitig ein Anschauungswerkzeug für die weltpolitische Vergeltung mit nachhaltiger Wirkung: der Bäckermeister, Herr W., wurde nicht müde, uns Kindern bei jeder sich bietenden Gelegenheit in glühenden Worten zu schildern, wie er den Hitler (wir schrieben Ende der Vierzigerjahre und die Legende hielt sich hartnäckig, der „Gröfaz“ sei noch irgendwo am Leben), wenn er ihn denn erwischen könnte, an seinem Schnäbi durch die Schrapsmaschine lassen würde… wir stellten uns das mit Schaudern als sehr schmerzhaft vor und sahen davon ab, ein weiteres ewiges Weltreich errichten zu wollen…

Aber dies nur nebenbei. Attraktiv für uns war das „Schnausen“, der freie Zugang zu köstlichen Backwaren nach Belieben. Die Eltern allerdings sagten, das würde uns bald widerstehen, denn auf Dauer führe jeder Genuss im Übermass zu Überdruss. – Genau dies hat nun eine Studie bewiesen, die sich mit der Vielfalt im Menü-Angebot bei der Schulverpflegung befasste. Dabei zeigte sich, dass eine grosse Auswahl von verschiedenen Speisen dazu verlockt, mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als bei immergleicher, eintöniger Kost, wenn nur ein und dasselbe Standard-Menü jeden Tag auf der Speisekarte steht.

Daraus wurde die Folgerung abgeleitet, in den Schulen könnte man kindliches Übergewicht dadurch bekämpfen, dass man die Auswahl beim Mensa-Essen einschränkt und längere Zeit nur ein einziges Menü anbietet, das dann den Kids zum Hals heraus hängen würde, so dass sie weniger davon ässen… – Das scheint mir – auch in Würdigung meiner Backstuben-Erlebnisse – ein untaugliches Rezept zu sein. Es negiert völlig den Genuss und die Freude an guter Nahrung und vernachlässigt die Möglichkeiten der Kinder, auf dem Heimweg und zuhause ohne schulische Einschränkung nachzufuttern, wenn ihnen danach ist. Lust lässt sich eben nicht reglementieren. Und die Schraps-Maschine hat wohl auch ausgedient. Zum Glück.