4/2  Schwer talentiert

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:04

In den meisten Fällen sind bei Casting-Shows übergewichtige KandidatInnen dazu verurteilt, die Arschkarte zu ziehen. Man verzeiht ihnen nichts. Das Publikum johlt, zeigt mit dem Daumen nach unten und die Jury knallt auf den Buzzer, bevor die Darbietung überhaupt richtig in Fahrt gekommen ist.

Heute gab es bei Die grössten Schweizer Talente eine erfreuliche Ausnahme von dieser fatalen Regel. Es gab überhaupt einige ansprechende Darbietungen, und als am Schluss noch eine junge Dame mit Gitarre die Szene betrat, waren die Erwartungen nicht mehr allzu hoch gesteckt.

Ergreifend war ihr Bericht. Dass sie in der Schule von klein an gemobbt worden war, weil sie „sehr fett“ war, wie sie selber es formuliert. Die stetigen Hänseleien seien so unangenehm gewesen, dass sie in der Schule als Siebenjährige allen Mut zusammen genommen habe, um es den andern zu zeigen. Etwas nämlich, in dem sie gut, in dem sie stark war: im Singen.

Sie sei vor die Klasse gestanden und habe ein Lied gesungen. Ein Kinderlied zwar. Aber offenbar war die Darbietung so überzeugend, dass man über sie von da an nicht mehr als von einem dicken Mädchen sprach, sondern vom Mädchen mit der schönen Stimme.

Und die hatte Andrea Sutter sich bewahrt; ihr Gesangsvortrag in der Talentshow riss das Publikum von den Sitzen und begeisterte die Jury. Sie liess vergessen, dass sie einmal ausgegrenzt und fertig gemacht worden war. Der Gesang hatte ihr eine neue, eigenständige und liebenswerte Persönlichkeit gegeben… Sicher, seit der Kindheit hat sie – wie auch immer – abgenommen. Jetzt ist sie 18 und sucht eine Lehrstelle als Praxishilfe bei einem Arzt – und ich würde mir wünschen, sie könnte diese Stelle in einer Adipositas-Sprechstunde antreten, denn sie weiss, worum es geht und hat die Belastungen am eigenen Leib erfahren. Sie hat die Herzen des Publikums und der Zuschauer im Sturm erobert. Ich wünsche ihr, dass sie es ins Finale schafft, für sich und für uns. Danke, Andrea!