18/12  Zeit macht satt

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:44

Wir haben zuhause eine Essuhr. Ihr einziger Nachteil: wir brauchen sie kaum. Es ist eine Art von umgekehrter Sanduhr aus durchsichtigem Kunststoff. In ihrem Inneren hat es grüne Kügelchen in einer Flüssigkeit. Stellt man das Ding auf den Kopf, so schweben die leichten Kügelchen nach oben, durch einen dosierenden Engpass.

45 Minuten dauert es, bis alle Kügelchen durch sind. So lange sollte man sich Zeit nehmen für eine bekömmliche, sättigende Mahlzeit. Einteilungen am Rand zeigen an, wann etwa die Vorspeise gegessen sein sollte und wann es Zeit wäre für den Nachtisch. Aber eben. Das Gadget liegt meist unbenutzt auf einem Regal, denn in unserem Alltagstrott sind wir mit dem Essen schon fertig, bevor die Kügelchen die Markierung „Vorspeise“ erreicht haben.

So richtig tröstlich ist die Tatsache nicht, dass wir mit diesem Verhalten nicht allein sind. Laut einem Bericht auf SPIEGEL online essen die meisten Leute in Deutschland zu schnell. Die rasantesten Esser sind die Übergewichtigen und die Jungen unter 30. Auch wenn die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen nicht extrem sind, zeigen sich doch unverkennbare Trends auf.

Ebenso aufschlussreich sind allerdings die schriftlichen Kommentare und Reaktionen auf diesen Bericht. Weltfremdheit wird den Verfassern vorgeworfen, Sehnsucht nach längst vergangenen Zeiten und romantisch verklärter Familien-Idylle. Wie das denn gehen soll, wird gefragt, wenn der Arbeitgeber bloss 30 Minuten Mittagszeit gewährt, Weg zur Kantine und anstehen am Tresen inklusive? Was? fragen andere, ihr habt eine Kantine? wir dürfen uns nicht mal einen Tee kochen am Arbeitsplatz… Und schliesslich werden die Gewerkschaften aufgerufen, sich stark zu machen für eine gesundheitsförderliche Verpflegung bei der Arbeit.

Gelegentlich vergewissere ich mich, ob die Essuhr noch funktioniert. Sie tut es.