18/8  Selfiegate

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 17:30

Dieser Beitrag lässt vielleicht die angemessene Ernsthaftigkeit vermissen. Aber bei dem ganzen Gedöns und Gedröhn der selbstgerechten Moralapostel ist mir ein verquerer Gedanke nicht mehr aus dem Kopf gegangen:

Wir reichlich dicken Menschen haben (unter anderem) einen doch erheblichen Vorteil. Es ist uns in der Praxis physisch fast nicht möglich, in unserem Büro ein „einschlägiges“ Selfie zu produzieren. Da ist uns die Fettschürze im Sitzen wie im Stehen ein sichtbehinderndes Obstakel zwischen der Linse des Handys und dem Objekt der voyeuristischen Begierde… Da wären Hilfsmittel und Aggregate vonnöten, wie man sie jetzt wieder gesehen hat anlässlich der Berichte über den Fall der ostdeutschen Mauer vor 25 Jahren, wo man die Unterseite der Autos an den Checkpoints jeweils mit einem Spiegel an einer langen Stange auf kleinen Rädern inspizieren musste.

So geniessen wir einen weitgehenden organischen Selbstschutz vor selfischer Entblössung, was immer das Motiv für eine solche sein möchte.

Aber jetzt einmal davon abgesehen: was ist denn so bodenlos verwerflich an einer bildlichen Selbstdarstellung, wie sie einst Michelangelo an Kirchendecken gemalt hat? Ist diese Schaffung von Primär-Transparenz durch ein nicht per Fotoshop aufgepepptes Bildnis nicht weit ehrlicher als unser seinerzeitiger Griff zu den Wintersocken, die wir uns in den Hosenbund steckten, bevor es in den Kurs zur Tanzschule Garbujo ging? Das war damals eine flagrante Vortäuschung nicht vorhandener Tatsachen, während das heutige Selfie nichts anderes zeigt als das, was ist. Eine kleine Facette des im elektronischen Zeitalter angekommenen Balzverhaltens, vor dem keiner und keine völlig gefeit ist, solange in seinen bzw. ihren Adern noch Hormone zirkulieren. So what?