23/9  Ausgefragt

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 20:19

Heute die ersten Therapie-Stunden. Sie beginnen damit, dass die freundlichen Therapeutinnen nach einem minuziösen Frage-Schema erheben, wo genau die persönlichen Schwächen sind, was man noch kann und was man an Leistungsfähigkeit eingebüsst hat. Die Fragestellungen sind auf schwerste Fälle ausgerichtet, in denen ein Patient völlig hilfsbedürftig ist und die einfachsten Verrichtungen nicht mehr selber vornehmen kann… Wenn ich das so höre und gleichzeitig sehe, wie es denen geht, die um mich herum im Rollstuhl sitzen oder sich mit grösster Mühe an Rollgeräten vorwärts bewegen, befällt mich so etwas wie ein schlechtes Gewissen: mir geht es noch viel zu gut, ich habe eigentlich gar kein Recht, hier eine Therapie zu „geniessen“, auch wenn ich mir natürlich von Herzen eine Besserung meines Zustands erhoffe.

Ein leiser Schreck befällt mich beim Mittagessen… wobei ich meinen gestrigen Bericht dahingehend ergänzen muss, dass mein Tischnachbar sich als eloquenter und belesener Gesprächspartner erweist – er muss gestern wohl einen harten Tag gehabt haben. Also: auf dem Menüplan stand eine Rindfleischroulade, vulgo Fleischvogel. Auf meinem Teller lagen jedoch lediglich drei hauchdünne Rouladen-Scheibchen, während die Mitessenden zur Rechten und zur Linken satte runde Fleischrollen aufgetischt erhielten… was soll das, fragte ich mich, bis ich sah, dass auf meinem persönlichen Speiseplan die Zahl 0,25 prangte, mit grüner Leuchtfarbe ausgezeichnet. Hoppla! Dann wird doch ernst gemacht mit der Schonkost: nicht nur „Friss die Hälfte“, sondern „FeV“ – Friss einen Viertel!

Am Abend dann überraschend wieder eine ganze Portion 1:1. Was hat das zu bedeuten? Das Service-Personal klärt auf: ich habe offenbar gestern bei der Vorbestellung ein Kreuz in einem falschen Kästchen gemacht, denn die Patienten haben es selber in der Hand, ihr Essvolumen zu  bestimmen. Das will sorgsam bedacht sein.