28/9  Ein Wirtschafts-Schleck

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 15:31

In unserer Jugend war Zuckerzeug Mangelware. Süsses gab es nur in Ausnahme-Situationen und allenfalls saisonal an Fest- und Feiertagen. Ein „Täfeli“ wurde uns jeweils fast feierlich überreicht, verbunden mit der Botschaft, im Gegenzug dafür ja recht artig zu sein. Mutter hatte auch immer wieder neue, noch raffiniertere Verstecke ausgeheckt, die es uns verunmöglichten, vorhandene Vorräte zu plündern.

Besonders beliebt waren die kleinen, spitz zulaufenden roten Bonbons, die aussahen wie wilde Walderdbeeren, mit einem weissen, etwas weicheren Kern… oder die Zucker-Himbeeren, steinhart, die man nicht zerbeissen durfte, die mit ihrem starken Aroma noch stundenlang im Munde nachschmeckten, abgesehen von der tiefroten Zunge, die den Schlecker noch lange unbarmherzig verriet. Oder die runden Dinger, abgehackte Stücke einer Zuckerstange, aussen rot und innen ein weisses Schweizerkreuz, das beim Lutschen länger standhielt und in dem sich kleine Kanälchen bildeten, durch die man die Luft einschlürfen konnte…

Im Lädeli an der Strassenkreuzung waren die Süssigkeiten in bauchigen Deckelgläsern ausgestellt und so etwas selber zu kaufen hätten wir uns nie getraut, das Geld dazu hatten wir auch gar nicht, das höchste der Gefühle war es, beim Bäcker für 20 Rappen „Verbrochenes“ zu erstehen.

Dann kam die Zeit der grossen Verfügbarkeit: verlockende Auslagen an jedem Kiosk luden zum Kauf ein. Schokoriegel, so weit das Auge reicht, saure Zungen und Drops, Kinderüberraschung, Gummibärchen in allen Farben, Chupa-Chups… wir gehen unter in Wogen aus Schleckwaren und die Werbung hämmert uns ein, dass sich uns die wahre Lust am Leben, die Freude und das Glück nur dann wirklich offenbaren können, wenn wir im Kreise der Familie die Zuckersachen mampfen.

Und nun beginnt sich das Blatt langsam zu wenden: der übermässige Zucker-Konsum wird als Risiko für unsere Gesundheit wahrgenommen, besorgte Ärzte und bewusste Bürger warnen und fordern Verbote oder doch eine Einschränkung der überbordenden Werbung, in USA ist das Thema Zucker zur Nummer eins in den Gesundheits-Gefahren avanciert.

Dies wiederum hat die dortigen Zuckerbarone auf den Plan gerufen, wie die amerikansiche Ernährungs-Wissenschaftlerin Marion Nestlé in ihrem Blog nicht ohne Ironie berichtet: der Präsident des nationalen Zuckerbäcker-Verbands weist auf die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung seiner Branche hin. 55’000 Arbeitsplätze in ganz Amerika sind mit der Herstellung von süssem Schleckzeug befasst und mehr als 400’000 weitere Jobs dienen den Zuckerbäckern zu als Rohstofflieferanten, Transporteure, Verpackungshersteller, Zwischenhändler, Verkäufer, etc.

Die Message ist klar: wer den Konsum von Süssigkeiten einschränken will, gefährdet Arbeitsplätze! Drum Hände weg vom Zucker-Business! – Wer diesen Appell zu Ende denkt, kommt nicht um die Erkenntnis herum, dass ein ausreichender und regelmässiger Verzehr von Zucker in jeder erdenklichen Form ja auch für zusätzliche Jobs und Beschäftigung im Gesundheitswesen sorgt, von den Zahnärzten über die Fitnesscenter bis zu den Adipositas-Kliniken. Süsse Aussichten!