1/11  Das Schnäppchen

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 18:42

Lang ists her. Da klingelten Menschen an der Haustüre, denen man damals noch Zigeuner sagen durfte. Sie fragten, ob man Messer und Scheren zum Schleifen habe, und machten das für einen Preis, der uns Kinder extrem überrissen dünkte, aber Mutter meinte, die müssten schliesslich davon leben.

Heute ist man für den Schliff seiner Schneidwerkzeuge selber zuständig. Bei uns lagern in vielen Schubladen irgendwelche Spezialgeräte, von denen einige sogar geeignet wären, Wellenschliff zu schärfen… aber mit deren Benützung ist es so eine Sache: man trifft meist den korrekten Winkel nicht oder zieht in die falsche Richtung, so dass das Teil am Ende stumpfer ist als zuvor.

Welch Lichtblick also, als beim billigen Lebensmittel-Discounter mit der vielen Swissness plötzlich ein automatischer, mechanischer Messeerschleifer im Tagesangebot ist, zum sagenhaften Spottpreis von nicht ganz 17 Franken! Da heisst es zugreifen, ohne Zögern!

Zuhause dann, beim Auspacken, der Blick in die Gebrauchsanleitung. Was auffällt sind die grossen, farbigen Warnschilder, die am Rand des Textes abgedruckt sind, so alarmierend, als enthalte die Packung eine ätzende Flüssigkeit oder zumindest Sprengstoff.

VORSICHT! heisst es. Ehe man das kleine, handliche Gerät in Betrieb nehme, solle man sich richtig ausrüsten: eine geschlossene Schutzbrille gegen herumfliegende Stahlspäne, dicke, wenn möglich lederne Handschuhe gegen Verletzungen, solide, eng anliegende Kleidung, die offenen Haare in ein Schutznetz packen, kein Foulard oder irgendwelche lose Stoffenden, kein Schmuck um den Hals…

Es ist, als beträte man fürs heimische Messerschleifen ein mittelalterliches Mechanik-Inferno, das uns an Leib und Leben bedroht und zu vernichten trachtet… Da wir weder lederne Arbeitshandschuhe noch eine Schutzbrille haben und auch nicht möchten, dass die Stahlspäne, wenn sie nicht in unsere Augen gelangen dürfen, sich vom Küchenboden aus in unsere Fusssohlen bohren, bleibt uns nichts, als die praktische, schnäppchengünstige elektrische Schleifmaschine bei nächster Gelegenheit zurück zu bringen und das Siedfleisch mit einem leicht angestumpften Bratenmesser in feine Tranchen zu schneiden zu versuchen… Das lassen wir uns nicht nehmen.