4/4  Schmauen – neu entdeckt

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 18:19

Es war vor elf Jahren. Da war ich per Zufall auf eine ganz spezielle Art der Nahrungsaufnahme gestossen: das Schmauen. Ich hatte eine Demonstration besucht, war begeistert und habe einen Blog verfasst mit dem Titel Die Kau-Revolution. Ich habe mir damals vorgenommen, diese verblüffend einfache Technik im Umgang mit den Speisen inskünftig anzuwenden und auch darüber zu berichten.

Aber wie es mit den guten Vorsätzen so ist: eine zeitlang hat es geklappt, dann etwas weniger, dann schliesslich gar nicht mehr… Bis ich mich auf der Suche nach „alternativen“ Konzepten zur Gewichtsreduktion ans Schmauen erinnert habe und dessen Erfinder, Jürgen Schilling, als einen der Referenten für unseren SAPS-Informations-Tag vom 10. Juni 2017 gewinnen konnte.

Um mich mit der Materie wieder vertraut zu machen, habe ich eines seiner Schmau-Seminare in München besucht, und die Begeisterung hat sich erneut eingestellt, ja noch potenziert! Das mag auch daran liegen, dass Jürgen Schilling mit seiner ansteckend-charismatischen Leidenschaft für die von ihm entwickelte Essens-Technik uns SeminarteilnehmerInnen in seinen Bann zu ziehen vermochte. Zum andern und wichtigeren jedoch lag es an der schlichten Einfachheit des Prinzips, das eine so wichtige Erkenntnis für unseren täglichen Umgang mit Nahrung in einige wenige, einleuchtende Grundsätze zusammenfasst.

Unbestritten: wir essen heute zu oft, zu schnell, zu viel und zu „ungesund“. Zwei Drittel aller sogenannten nichtansteckenden chronischen Krankheiten (von Übergewicht/Adipositas über Diabetes, Herz-Kreislauf-Störungen, bis zu Krebs) stehen direkt in Verbindung mit einer „falschen“ (das heisst ungesunden) Ernährung und mit Bewegungsmangel.

Die Lebensmittelindustrie versucht mit aller Macht, uns dazu zu verführen, immer mehr zu konsumieren, möglichst permanent zu futtern, ausgesetzt einem Trommelfeuer, das über die Werbung und mit raffiniertem Marketing alle unsere Sinne bearbeitet. Dabei fällt es uns trotz der Fülle an Informationen, über die wir verfügen können, immer schwerer, „gutes“ Essen von industriellem Junk-Food zu unterscheiden.

Und da setzt das Schmauen ein. Beim Mund, der das erste Ventil für den Einlass der Nahrung in unseren Körper ist, verfügen wir über geniale Werkzeuge: die Zähne zum Zerkleinern des Materials, die Zunge zur vielfältigen mechanischen Verarbeitung und den Speichel als quasi magische Substanz, welche aus den Nährstoffen das Wesentliche an Geschmack herausholen und die optimale Verdauung der Lebensmittel vorbereiten kann.

All dies geht ersatzlos verloren, wenn wir eilig einen möglichst grossen Happen schnappen, ihn quasi unzerkaut hinunter schlucken, die Gabel mit dem nächsten Bissen schon unterwegs zum Mund… wir haben es verlernt, auf die Reaktion des Körpers zu hören, wir sind im Stress, es muss rasch gehen (auch wenn uns keiner unser Essen streitig macht).

Schmauen ist das Gegenteil: es geht nicht nur darum, einen kleinen Bissen Speise möglichst lang zu kauen (das hat uns schon die Grossmutter gesagt, das ist nicht neu), es geht vor allem auch – und das ist für mich die wesentliche neue Erkenntnis aus diesem Seminar – darum, „richtig“ zu schlucken. Nämlich nicht den ganzen Mund-Inhalt auf einmal (als wäre man im Dschungelcamp), sondern in möglichst vielen, winzigen Schlückchen, immer nur gerade das uns so viel, wie sich der Speisebrei unter der enzymischen Wirkung des Speichels im Mund in eine dünnflüssige Substanz verwandelt hat.

Diesen Effekt an verschiedenen Materialien, von trockenem Brot über Früchte, Gemüse bis zum Käse, erleben zu können, war eine der zentralen Einsichten des Schmau-Seminars. Auf diese Weise lässt sich selbst eine kleine Portion Speise über eine erstaunlich lange Zeit hin „auskosten“ und entwickelt einen ungeahnten Sättigungseffekt. Dabei ist es wichtig, nach jedem Bissen die Gabel und das Messer abzulegen, sich zurückzulehnen, allenfalls die Augen zu schliessen, und diesen neuen, bewusst-achtsamen Kau-Vorgang innerlich zu zelebrieren. (Das geht übrigens auch mit den Getränken, doch davon ein andermal.)

Dass „es“ auch im Alltag funktionieren kann, habe ich mir in den letzten Tagen zu beweisen versucht. Bislang mit Erfolg. Nun möchte ich diesmal dran bleiben, zur Unterstützung meines ohnehin laufenden Programms. Ich werde auf das Thema und seine Hintergründe zurückkommen. Wer sich dafür interessiert, merkt sich am besten unseren sapsTag vom 10. Juni 2017 vor. Der Eintritt ist frei.