2/1  Tipps fürs Gewissen

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:06

Kaum ist das neue Jahr angebrochen, schon knallen uns die Gazetten ihre Ernährungstipps und Verhaltensempfehlungen um die Ohren, als müssten wir um die Wette Gewicht abwerfen, das wir uns über die Festtage angeschlemmt haben. Wäre es möglich, habe ich mich noch im alten Jahr, kurz vor Weihnachten, gefragt, diesmal über die Runden zu kommen, ohne zuzulegen? Mein Arzt hat als schlauer Fuchs den nächsten Kontrolltermin auf Anfang Januar verlegt. Ursprünglich hat er mir eine Konsultation für morgen vorgeschlagen… aber ich konnte mit dem Hinweis auf meine Abwesenheit im Ferienhaus noch eine ganze Woche herusschlagen.

Ich habe es nicht geschafft, seine Erwartungen zu erfüllen und die Feiertage unbeschadet zu überstehen. Vielleicht ist es mir gelungen, etwas Mass zu halten. Aber da ausgesucht gutes Essen seit jeher zu unserer Festtagskultur gehört, lässt es sich ohne äusseren Sachzwang nicht einfach unterdrücken. Schon um der lieben Gäste willen, die auch noch besondere Leckereien mitbringen und auf sofortigem Verzehr bestehen. Da sind die Nachbarsleute, die regelmässig einen selbstgebackenen Butterzopf durch ihre Kinder vorbeibringen lassen, der schon mit seinem betörend frischen Geruch allein darum bettelt, verspeist zu werden… oder die grosse Nusstorte, in welche ein Teil der Nüsse eingearbeitet sind, welche andere Nachbarn unter unserem alten Nussbaum eingesammelt haben… oder der besondere Raclettekäse aus der Region, der uns im lokalen Geschäft so eindringlich empfohlen wurde… die selbstgemachte Konfitüre, die man am liebsten mit Löffeln isst, wobei man der Illusion verfällt, dass eine Anzahl von kleinen Löffelchen, in gewissem Abstand genossen, weniger ausmachen würden als wenige grosse Löffel aufs Mal.

Das obligate festtägliche Fondue Chinoise wäre ja an sich keine schlechte Sache, aber auch hier steckt der Teufel im Saucendetail, und die gekauften Geschmacksrichtungen sind leider um einiges besser als es ein selbst angerührter Dip aus Magerjoghurt je sein könnte. Auch das praktische Filet im Blätterteigmantel erweist sich auf dem Teller als wesentlich ausgiebiger, als es in tiefegkühltem Zustand ausgesehen hatte. Und was kann man dafür, wenn die Schwarzwälder Eistorte schon so weit aufgetaut und zerflossen ist, dass sie auf der Stelle und ganz aufgegessen werden muss?

Vielleicht müssten wir in solchen Situationen lernen, die „Reste“ zu entsorgen. Aber das widerspräche unserer ganzen Erziehung und Moral. Nichts sei schlimmer, hat man uns schon als Kindern eingebläut, als Essen wegzuschmeissen. Und wenn man hört, dass weltweit bis zu 50 Prozent aller Nahrungsmittel vernichtet werden, dann verdrängt man solche Gedanken rasch und erfolgreich. Umso eher, als das Essen ja schmeckt. – Zum Glück kommen dann die Tipps in den Heftchen. Das beruhigt das Gewissen, auch wenn man sie nicht befolgt.


2 Kommentare zu “Tipps fürs Gewissen”

  1. Natalie Peyer sagt:

    Hm, also wie man gekaufte Saucen besser finden kann als selbstgemachte, ist mir ein Rätsel.
    Wobei ich gestehen muss, dass die Saucen meiner Mutter auch mit Mayonnaise und nicht mit Magerquark verrührt werden. :-)

  2. Anette sagt:

    Naja, manche Saucen, z.B. aus Metzgereifachgeschäften, sind wirklich nicht schlecht. Da hatte ich schon ganz leckere gefunden, wirklich. Bei den selbstgemachten weiss man halt dafür, was drin ist.

    Einigermassen beruhigend finde ich es, dass es offensichtlich in den meisten Haushalten gleich kalorienreich zu und her geht während der Festtage. Schliesslich kann man ja selbstgemachte und so überaus köstliche Geschenke oder auch Einladungen zum Essen nicht zurückweisen. Und wegwerfen? Um Himmels willen, wenn dann danach gefragt wird!?! Andererseits helfen die grosszügigen Schenker einem nachher auch nicht beim Abbauen der zugefutterten und überflüssigen Pfunde.

    Es bleibt also die Krux der Entscheidung darüber, ob ich nun Freunde, Bekannte und Verwandte vergraulen, oder nach jeden Feiertagen und Festen wieder von vorne mit meiner Diät anfangen will.

    Das ist schwierig und ich bin froh, damit nicht alleine zu sein.

    Vielen Dank Heinrich, für Ihren etwas ironischen und doch humorvollen Feiertagsrückblick.

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