10/5  Ruinös dick

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:11

Während hierzulande die bürgerlichen Partisanen des Eigennutzes verbissen gegen alles ankläffen, was nach Prävention aussieht, werden in Amerika die Alarmglocken geläutet. Eine Prognose besagt, dass bis zum Jahr 2030 der Anteil der adipösen Amerikaner (mit BMI über 30) von derzeit 36% auf 42% steigen wird. Ein weiteres Drittel der Bevölkerung ist übergewichtig, so dass der Anteil der Übergewichts-Betroffenen gegen 80 % gehen wird. Dies ist nicht „nur“ ein gesundheitliches Problem sondern geht überdies ins Geld, und zwar massiv.

Die Adipositas-Epidemie drohe die Volkswirtschaft zu ruinieren, warnen die Wissenschafter. Dabei sehen sie die Schuld weniger beim Einzelnen und dessen allfälligem Fehlverhalten, sondern klar in der Masslosigkeit und Profitgier der Lebensmittelindustrie, die dringend staatlicher – wenn auch dosierter – Eingriffe bedürfe.

Bei uns sind die Zahlen noch nicht so ausgeprägt, aber der Trend geht in eine ähnliche Richtung. Es ist daher zu begrüssen, dass der Bundesrat diese Woche beschlossen hat, das nationale Ernährungs- und Bewegungs-Programm um weitere vier Jahre zu verlängern. Dies ermöglicht behutsame Ansätze zur Realisierung international anerknnter Massnahmen, sofern es gelingt, auf gesetzgeberischer Ebene – etwa bei der Revision der Agrarpolitik und des Lebensmittelgesetzes – mitzuhalten.

Wir sind gespannt, ob die Signale aus Übersee von den hiesigen Freiheitskämpfern wahrgenommen und verstanden werden.




9/5  Aus für Dr. House?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:30

Er leidet an poaranoiden Schüben, sieht ungesund aus, hinkt, ist cholerisch und aufbrausend, unberechenbar… kurz: er vereinigt alle Eigenschaften, die man sich eigentlich bei einem Medizinmann nicht wünschen würde. Und doch ist er offenbar einer, dem nicht nur die Frauen vertrauen.

Dr. House ist ein Ekelpaket, der ein schlechtes Licht auf die ganze Sippe der Halbgötter in Weiss zu werfen scheint, und trotzdem praktiziert er mit Erfolg. Das könnte sich vielleicht ändern, wenn Schule macht, was ein Spital in Texas eingeführt hat: dort werden nämlich neuerdings Ärzte, die zu dick sind – die Grenze ist ein BMI von über 35 – gar nicht mehr eingestellt. Mit der Begründung, medizinisches Personal müsse für die Patienten Vorbildfunktion haben und ein Doktor, der sein eigenes Gewichtsproblem so offensichtlich nicht im Griff habe, könne für seine Klientel nicht glaubwürdig sein.

Darf eine Klinik solche Zulassungs-Kriterien aufstellen? Oder handelt es sich hier um eine unerträgliche Diskriminierung übergewichtiger Menschen? – In der Berichterstattung und in der Diskussion werden Argumente pro und contra vorgebracht. Auf der einen Seite gibt es in USA offenbar keine gesetzliche Grundlage, welche solche Entscheide verbieten würde, es gibt auch Überlegungen, die eine solche Selektion rechtfertigen, etwa wenn durch das übermässige Körpergewicht eines Chirurgen dessen physische Fähigkeit beeinträchtigt wäre, eine komplizierte Operation durchzustehen, was wiederum den Patienten gefährden könnte…

Aber grundsätzlich stösst eine spolche Perspektive beim medizinischen Personal auf Skepsis und Ablehnung. Mit gleichem Recht, heisst es, könnten Bewerber abgelehnt werden, die eine risikoreiche Sportart pflegen, die Rauchen, die dem Alkohol nicht abgeneigt sind, oder die gerne schnelle Wagen fahren… – Was ist ihre Meinung in dieser Kontroverse?




8/5  Ernährung brutal

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 16:07

Es war keine leichte Ferien-Lektüre. 3096 Tage – so heisst das autobiografische Buch, in dem Natascha Kampusch die Geschichte ihres acht Jahre dauernden Martyriums im Kellerverlies ihres Entführers beschreibt.

Die Vorstellung, dass es sich hier nicht um eine erfundene Geschichte handelt sondern um erlebte, erlittene Realität, um wirkliche Panik, Ängste, Not, Verzweiflung, um Misshandlungen und unsägliche Schmerzen – und gleichzeitig um eine absurde Form der kindlichen Abhängigkeit und doch Hingabe an eine Person, deren Peinigung als einzige Form von Zuneigung wahrgenommen wurde… diese Vorstellung ist beklemmend und lässt einen auch nach dem Lesen nicht so bald wieder los.

Ein Element dieser wahnwitzigen Leidensgeschichte ist der Ernährungs-Komplex. Vor ihrer Entführung war die zehnjährige Natascha ein pummeliges Mädchen, das bei innerfamiliären Spannungen gern Zuflucht beim Essen suchte und das unter Gleichaltrigen all den leider üblichen Formen der subtilen Diskriminierung ausgesetzt war, demzufolge mit sich selber und ihrem Körper unzufrieden war, an mangelndem Selbstwertgefühl litt.

In der ersten Zeit ihrer Gefangenschaft erfüllte der Entführer ihr den einen oder anderen Wunsch nach Esswaren – im Sinne einer Belohnung für angepasstes Verhalten. Mit der Zeit begann er jedoch – so wie sein Opfer im Heranwachsen zur jungen Frau vermehrte Eigenständigkeit und Bereitschaft zum Widerspruch an den Tag legte – das Essen als Disziplinierungsmassnahme einzusetzen. Er redete ihr ein, sie sei viel zu dick und hässlich, er setzte sie auf eine rigorose Mangelernährung, so dass sie lange Zeit am Rande der physischen Erschöpfung dahin vegetierte und alle Anzeichen einer krassen Anorexie aufzuweisen begann, mit einem BMI von 14,5, was nach der WHO-Skala absolut lebensbedrohlich ist.

Im Rückblick schildert Kampusch ihre Erfahrungen in diesem existenziellen Grenzbereich glasklar und bedrückend, die Symptome und die Halluzinationen, die Wahnvorstellungen von imäginärem Essen, mit denen sie sich über die Hungerperioden hinweg half, bis zum Zustand der totalen Erschöpfung und der Bewusstlosigkeit… – All die Phänomene, die uns aus den Theorie- und Lehrbüchern eigentlich vertraut sind, erstehen hier zur erlebten Wirklichkeit und können verstanden und begriffen werden. Diese Passagen allein machen das Buch, das schon vor einiger Zeit erschienen ist, lesenswert.




7/5  Was ist drin?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 15:26

Essen wie Gott in Frankreich… eine Spruchweisheit, die sich in meinen Ferien wieder mal bewahrheitet hat. Nicht nur dank der Euroschwäche schienen uns die Preise für Lebensmitel auffallend tief zu sein, auch die Qualität war meist überzeugend und das Angebot – am Frischmarkt auf dem Dorfplatz vor allem – ausgezeichnet. Käsesorten in allen Variationen, schmackhafte Frischbutter, gute Milch von der Weide, Wurstwaren mit schon spanischem Einschlag…

Und dann kommt man zurück, setzt sich an den Computer, vor dem man eine Woche lang Ruhe hatte, und findet dort den Link zu einem Video, das vor einigen Wochen auf ZDF neo ausgestrahlt wurde. Da wird mir übel heisst der Report und er leuchtet hinter die Kulissen der deutschen Nahrungsmittelindustrie, im Bestreben, aufzuzeigen, was denn so alles in die Produkte hinein verarbeitet wird, die in den Grossverteilern feilgeboten werden. Sicher geht alles mit sogenannt rechten Dingen zu, nach dem Buchstaben des Gesetzes korrekt und hygienisch sauber… Aber dass zwischen dem, was wir uns idealerweise vorstellen (bzw. was wir erwarten) und dem, was effektiv geboten wird, oft eine Kluft besteht, das wird einem bewusst, wenn man diese sorgfältig recherchierte Reportage betrachtet.

Ein Stück praktische Verbraucheraufkärung, die unser Wahrnehmungsvermögen schärft und dazu beiträgt, uns zu kritischen und bewussten KonstumentInnen zu emanzipieren und jene Eigenverantwortung wahrzunehmen, die man uns so gerne empfiehlt.