13/6  Elternalltag

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 13:36

Die schönen Tage im Unispital gehen ihrem Ende entgegen. Morgen ist die Verlegung in die Rehabilitation und heute Abend noch der letzte Eingriff, über den ich erst später berichten kann, da mir anschliessend Bettruhe verordnet ist.

Aber der Alltag streckt mir schon sein Gesicht aus den Zeitungsspalten entgegen: da ist die an sich erfreuliche Meldung, dass die Betreiber des Restaurants beim Freibad Dolder in Zürich auf ihrer Speisekarte nur noch „gesunde“ Menüs anbieten und dass Kinder, die Pommes bestellen wollten, abgewiesen worden seien. Eine sehr schöne Information, wenn da nicht die Eltern der lieben kleinen Pommessüchtigen gewesen wären, die mit lautstarkem Protest die Herausgabe der frittierten Kartoffelstäbchen erzwungen hätten.

Was nützen die besten Präventionsprogramme zum Schutz der Kinder vor Übergewicht, wenn elterliche Dummheit sie zunichte macht!? Der Vorgang erinnert an die Geschichte mit Starkoch Jamie Oliver, der für eine Schule in England ausgewogene Menüpläne entworfen hatte, mit der Folge, dass aufgebrachte Eltern ihren Lieblingen Burger, Pizzas und Pommes durch den Zaun auf den Pausenplatz reichten…

Wahrscheinlich sind und waren diese Eltern überzeugt, für ihren Nachwuchs nur das Beste zu wollen. Heimische Vollmast als Liebesbeweis: wenn es je zu einer Institution wie einem „Elternfahrausweis“ kommen sollte, wäre Ernährung eines der ersten Fächer, die auf dem Lehrplan figurieren müssten. Das Bewusstsein ist am Wachsen, die Grenzen der Anwendung zeigen sich in der Praxis.




12/6  Punktgenau

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:46

Uff… der erste Teil der Eingriffe zu Studienzwecken ist überstanden, eine kleine Sache im Rückblick, eine knappe halbe Stunde, alles in allem. Der Arzt ertastet unter dem oberen Rand der gut genährten Füdlibacke den hineren Hüftknochen und sucht eine geeignete Stelle. Du liegst bequem auf dem Bauch, das erspart das Hingucken. Zwei-drei kleine Spritzen schläfern die örtliche Zone ein und dann wird eine massivere Nadel angesetzt. Das geht völlig schmerzlos, ein wenig Druck ist zu verspüren, der sich etwas verstärkt, als die Nadel sich in den Knochen bohrt… aber weh tut es nicht.

Nun fühlt es sich vielleicht etwas komisch an, warnt der Spezialist, denn nun hat er an der Nadel eine Spritze angesetzt und beginnt vorsichtig, Flüssigkeit – Blut und Knochenmarkzellen – abzusaugen. Tatsächlich ein merkwürdiges Empfinden, das sich da so in die Knochen hineinschiebt, ausstrahlend, saugend, nicht schmerzhaft, oder doch so, wie kurzes Zahnweh, wenn man mit der Zunge an einer schadhaften Wurzel herumdrückt… Noch einmal etwas nachpressen, tiefer in den Knochen – und schon ist die Sache vorbei. Pflaster drauf, nachdem die Nadel herausgezogen wurde, was sich – erstaunlicherweise – als rechter Kraftakt erweist, so fest war sie ins Knochengefüge gerammt.

Und drei Stunden später sitze ich vergnügt am Bettrand und tippe meine Erinnerungen. Das war Präzisionsarbeit und stimmt mich ein für den zweiten Eingriff am Mittwochnachmittag: per Herzkatheter werden die so gewonnenen Zellen in die betroffene Aera gebracht. Ein Vorgang, den ich vor zwei Wochen auf den Notfallstation nicht mehr bewusst erlebt habe, da war ich weg und aus, es ging ja ums Überleben. Aber jetzt ist mein Interesse geweckt und ich vertraue dem Können und der Routine des behandelnden Arztes. Vielleicht lasst sich auch das mit dem MRI noch lösen, nach einer Alternative wird gesucht.

Für all die freundlichen Zeilen der Aufmunterng danke ich herzlich, das ist eine wichtige Begleitung auf dem Weg zur Besserung.




11/6  Analog

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:31

Mensch, was sind wir doch elektronisch verwöhnte Weicheier! Da hat mir heute Nachmittag eine hochkarätige Delegation des eBalance-Teams den versprochenen Laptop ins Spital gebracht, mir gezeigt, wie man ihn anschliesst und in Betrieb setzt… und nun will ich loslegen. Es ist schon am Eindunkeln, mein Zimmergenosse guckt sich auf dem kleinen Monitor an seinem Bett eine TV-Sendung an und ich starte die Kommunikations-Maschinerie.

Aber das hatte ich längst vergessen, wieviel Zeit dies in Anspruch nimmt, wenn man dazu das gute alte Telefon benutzen muss! Zuerst muss die Leitung frei gewählt sein, dann kommt das automatische Tü-Diddel-Dürü-Dü mit dem Zahlencode, dann dauert es un dauet es, bis der Code verifiziert und der Computer registriert ist… das hatten wir vor Jahren, aber im Digitalzeitalter ging es vergessen wie eine Geschichte von Grussmutter.

Dann eine Internet-Seite angewählt… und das dauert, dauert, dauert… und bei jeder zweiten Adresse heisst es: die Seite kann nicht angezeigt werden… ans Herunterladen einer Website ist gar nicht zu denken und ich frage mich jetzt schon, wie lange es dauern wird, bis diese wenigen Zeilen eingebeamt sind.

Ich muss mich deshalb auf das Wesentliche beschränken. Ein ruhiger Tag war es heute, mentale Vorbereitung auf die beiden medizinischen Eingriffe vom Dienstag und Mittwoch. Dann die Anfrage des Fernsehens, ob man für eine der nächsten Ausgaben von SF bi de Lüt – ein Ort nimmt ab eine Aufnahme mit mir hier im Spital machen könnte, ein kleines Gespräch mit Dora, die nie um eine Ausrede verlegen ist, warum sie gerade jetzt nicht Sport treiben oder auf eine Süssigkeit verzichten könne… um ihr drastisch klar zu machen, wohin es führen kann, wenn man die Gewichtsreduktion zu wenig Ernst nimmt…

Die TV-Anfrage löst im Hause eine gewisse Unruhe aus, denn der Dreh muss formell durch alle Instanzen bewilligt werden, aber da ist man unkompliziert und die Absprachen klappen. So kann ich jetzt beruhigt die Nacht in Angriff nehmen, wobei mich doch die Frage beschäftigt: Wie haben wir das eigentlich im vor-digitalen Zeitalter gemacht? Wie konnten wir da kommunizieren? Rauchzeichen gingen ja schneller.




10/6  Objektiv

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 16:26

Wenn man so im Spitalbett liegt, wird man sich plötzlich der Tatsache inne, dass man von Subjekt zum Objekt mutiert. Man ist unversehens zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung geworden und unterliegt neuen Regeln und Ritualen. Nach zuverlässigem Terminplan werden nun Morgen für Morgen Blutdruck und Puls erfasst, Temperatur gemessen und Lebenssaft abgezapft (spannend zu sehen, wie sehr das Talent zur Blutentnahme der einzelnen Pflegerinnen variieren kann).

Es ist ja auch interessant im Sektor Begegnungen: früher gab es eine Verbundenheit in fast verwandtschaftlichem Sinne, als die Krankenschwestern einem noch geschwisterlich zugetan schienen… inzwischen haben sie den Status von Pflegefachfrauen erreicht, von denen es ganze Hierarchien und Spezialisierungen zu geben scheint… Wusste man früher mit Schwester Monika und Schwester Gertrud noch gut, in wessen Hände man war, gibt es heute auf den kleinen Täfelchen keine Vornamen mehr, nur noch Anfangsbuchstaben und den ausgeschriebenen Geschlechtsnamen… aber die freundlichen Frauen bleiben kaum so lange am Bett stehen, dass du Name und Funktion gleichzeit komplett lesen könntest. Das schränkt zum Glück die Fürsorge und die Hilfsbereitschaft nicht ein und man weiss trotzdem, egal, wer im Moment gerade Dienst hat oder im Turnus ist, dass man bestens aufgehoben bleibt.

Eine kleine Episode hat mir adipositasmässig zu denken gegeben. Ich habe unmittelbar nach dem Infarkt eingewilligt, mich für eine wissenschaftliche Studie zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet – vereinfacht gesagt – dass man mir in den nächsten Tagen mit einem neuerlichen Eingriff Stammzellen aus dem eigenen Knochenmark in die betroffene Herzgegend einspritzen wird, um zu beobachten, ob sich dadurch das Gewebe besser regeneriert. Es wurden verschiedene Patientengruppen gebildet, um die Resultate miteinander vergleichen zu können. Die Kontrolle dieses therapeutischen Prozesses erfolgt periodisch per MRI, also mit dem Magnetresonanz-Tomografen. Um ein Ausgangsbild zu erhalten, hat man mich letzte Woche für eine erste Aufnahme vorbereitet: wie seinerzeit Pharao Ramses II. wurde ich bandagiert und präpariert, auf dem fahrbaren Katafalk vor der Magnetröhre aufgebahrt, verkabelt, gepolstert und mit Messgeräten bestückt. Sogar einen Kopfhörer erhielt ich, um mich durch die unvergleichlichen Klänge von DRS 1 bei Laune zu halten… Als dann der Schlitten mit seiner aufgapackten Ladung per Knopfdruck in die Magenttrommel eingefahren wurde, fühlte ich mich aufs Neue seltsam beengt. Wie der Korkzapfen, den man in die Flasche presst, wurde mein Brustkorb zusammengequetscht und mit einem Panik-Laut konnte ich den Vorgang stoppen…

Sorry, sagte ich, ich habe schon öfters in voller Pracht in solchen MRI-Rohren gesteckt. Und wenn ich in den Prospekten des USZ lese, dass das Institut ganz vorne bei der Weltspitze mithalten will, dann denke ich doch, man müsste sich gelegentlich mit der Tatsache befassen, dass das Patientengut weltweit nicht nur älter sondern auch dicker und schwerer wird… Dies ist mir jedenfalls bei meinen verschiedenen Gängen zum EKG, zum Ultraschall und auch zur Caféteria aufgefallen: es gibt anteilmässig sehr viele ältere und übergewichtige Patientinnen und Patienten im Spital. Das Problem stellt sich schon heute, objektiv, nicht erst morgen.

Wie auch immer, die Studie wird nächste Woche fortgesetzt, vielleicht findet sich ein passendes Gerät in einer Privatklinik. Ich lasse mich die nächsten Tage noch gern verwöhnen und umsorgen auf dem Weg zurück.




9/6  Time Out

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:28

Kaum eine Formulierung wäre treffender als der Titel, mit dem der deutsche Komiker Hape Kerkeling seinen amüsanten Pilgerreisebericht überschrieben hat, den mir Anne bei ihrem Besuch zur Verkürzung meiner Zeit mitgebracht hat: Ich bin dann mal weg.

Ich hatte im Leben nicht damit gerechnet. Natürlich macht man sich ab und zu seine Gedanken, aber von all den klassischen Risikofaktoren traf auf mich keiner wirklich zu, ausser dass ich übergewichtig bin. Als ich deshalb am Pfingstmontagabend noch rasch auf den Hometrainer stieg, um zu einem TV-Film kurz den Kreislauf anzukurbeln, machte ich mir keine grossen Sorgen, als ich nach wenigen Minuten in der Speiseröhre eine Art Beklemmung spürte, wie wenn ich einen zu grossen Bissen ungekaut verschluckt hätte. Ich hielt an, atmete mehrmals laut und tief durch, bis das unangenehme Gefühl wieder verschwunden war. Dann ging ich zu Bett.

Als ich mich um fünf Uhr früh am Bettrand aufsetzte, um wie jeden Morgen zur Toilette zu gehen, da war die Beklemmung wieder da: nur um ein Vielfaches stärker, als hielte ein Schraubstock Luft- und Speiseröhre zusammen in der Klemme. Ich konnte kaum noch atmen, bloss in kurzen, hastigen Stössen. Kalter Schweiss lief an mir herunter, ich war unfähig mich zu rühren. War das nun ein Herzinfarkt? Kein eigentlicher Schmerz, kein Ausstrahlen in die Arme und andere Körper-Regionen… nur diese unheimliche Klammer, die mir die Luft abschnitt.

Fünfzehn Minuten später war die Ambulanz da. Spray auf die Zunge, eine erste Infusion, Ansetzen der Elektroden fürs EKG. Völlig wach erlebte ich mit, wie ich auf einen Stahlsessel geschnallt wurde, wie dieser Sessel auf Rollen durch die Wohnung geschoben und dann in schwankendem Schlingerkurs über die Aussentreppe nach unten zum Ambulanzfahrzeug gebracht wurde, mit einem offenbar genialen Transportsystem, das es den keinenswegs hühnenhaften Sanitäterinnen erlaubte, mein Gewicht sicher in die Tiefe gleiten zu lassen. Es regnete in Strömen.

Mit Blaulicht aber ohne Sirenengeheul fuhren wir durch den frühmorgendlichen Verkehr und ich weiss noch, dass ich der jungen Ärztin, die im Fahrzeug zugestiegen war, frech kam: als sie mich mit ziemlich schriller Stimme nach meinem Befinden fragte, sagte ich, ich hätte es vermutlich am Herzen und nicht an den Ohren, sie könne es sich ersparen, mich so anzuschreien. – Als wir kurz darauf bei der Notaufnahme im Universitätsspital eintrafen, stand die Equipe bereits draussen, wie man es aus den Filmen kennt, ich wurde auf eine Liege gebettet, im Galopp ging es durch den Gang um einige Ecken, plötzlich viel Licht, wiele Menschen, eine weitere Infusion… und dann reisst der Faden des bewussten Erinnerns ab.

Als ich, Stunden später, wieder zu mir kam, war ich in einen Kokon von Schläuchen und Kabeln eingesponnen, umgeben von blinkenden und zirpenden Bildschirmen. Besorgte und interessierte Menschen rund um mich und langsam realisierte ich, was geschehen war. Ich hätte, sagten die Ärzte, Glück gehabt. Es hätte sich um einen „grossen“ Herzinfarkt gehandelt, der in der Regel tödlich sei, wenn er jemanden am Arbeitsplatz, unterwegs oder beim Sport überrasche. In meinem Fall hätten die schnelle Reaktion (meine Frau hatte blitzartig den Notruf verständigt), der kurze Weg ins Spital und die Tatsache, dass ich quasi regungslos verharren konnte, mir das Leben gerettet. Und natürlich ist auch die perfekte Leistung des OP-Teams nicht zu vergessen, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass ich dem Gevatter von der Schippe hüpfen konnte.

Zwei Wochen habe ich nun auf der medizinischen Station verbracht, umsorgt und gehegt von kundigem Personal, abgeschirmt und abgeschnitten von jeder Möglichkeit, ins Internet zu kommen. Daher auch der etwas knappe Eintrag „in absentiam“. – Danke für die Anteilnahme! Danke für die guten Wünsche, die mich trotzdem erreicht haben! – Nun bin ich zwei Tage im Urlaub. Am Sonntagabend geht es zurück ins Spital, zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie. Dann im Lauf der näcshten Tage direkt für drei bis vier Wochen in eine Rehabilitationsklinik. Es geht darum, das Leben wieder zu lernen.

Ab sofort wird weitergebloggt. Das eBalance-Team stellt mir leihweise einen Laptop zur Vefügung, so dass ich mich auch aus dem Spital und aus der Reha wieder melden kann. An Themen wird es nicht fehlen.




29/5  

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:09

Der eBalance-Blog fällt wegen Abwesenheit von Heinrich von Grünigen vorübergehend aus.




28/5  Kuhsaft light

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:01

Milch macht nicht nur müde Männer munter und manches wieder gut, sie soll auch sonst ein ganz patentes Nahrungsmittel sein. Babies, die lange gestillt werden, neigen nachweislich weniger dazu, später übergewichtgig zu sein. Und Milch ist die modische Trägersubstanz all dieser heilvollen Drinks und Joghurt-Mixturen, mit denen uns die Molkereindustrie derzeit überzieht.

„Fette“ Milch, rahmig voll, galt einst als ideale Kinderkraftnarhung, vom kränkelnden Bübchen in Gotthelfs Anne-Bäbi Jowäger bis zu Klara im Rollstuhl, als sie Heidi hoch auf der Alp besuchte. Aber inzwischen ist Vollmilch auf den Ernährungsindex gekommen. Wer sein Gewicht im Griff behalten will, gönnt sich allenfalls den teilentrahmten Milch-Drink.

Eine ganz neue, natürlich fettreduzierte Milch wurde jetzt in Neuseeland entwickelt: nicht etwa im Labor und durch chemisch-mechanische Eingriffe, auch nicht durch Genmanipulation, sondern durch ganz kommune, traditionelle Züchtung von Kühen, welche eine besondere genetische Eigenschaft haben, indem sie Milch geben, die keine gesättigten (als ungesunden) Fette enthält.

Ein solches Prachtsexemplar einer neuen Milchkuh namens Marge wurde bereits identifiziert und die Forscher gehen davon aus, dass bis in fünf Jahren ganze Herden solcher Kühe herangewachsen sein werden für die kommerzielle Produktion der fettmässig korrekten Milch. Dies würde, so ist man jedenfalls auch in England überzeugt, den ganzen Markt der Milchprodukte von Grund auf revolutionieren. Eine Perspektive, die uns hier in der Schweiz nicht ganz unberührt lassen kann, wo wir doch neben der Erfindung von Ricola auch diejenige des Emmentalers und des Racclette gepachtet haben.

Ein weiterer Nebeneffekt sei der, dass Butter, die aus dem Rahm dieser besonderen Milch gemacht wird, streichfähig und geschmeidig bleibt, auch wenn sie direkt aus dem Kühlschrank kommt. Ich weiss nicht so recht, ob ich deswegen unsere ganze Milchwirtschaft umorganisieren würde, aber das mit dem Fett hat mich wirklich neugierig gemacht.




27/5  Auf Leben und Tod

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:53

Das hat mich heute extrem betroffen gemacht, als ich den SonntagsBlick gesehen habe. Dass 30 Mord-Drohungen gegen Frau Humbel ausgesprochen worden seien, im Zusammenhang mit ihren Aussagen zum Krankenkassen-Selbstbehalt. Egal wie fragwürdig oder unhaltbar ihre Forderung ist: ein solches Verhalten ist unentschuldbar und darf nicht toleriert werden.

Wohl wahr, ich habe von Betroffenen vor einer Woche schon den Satz gehört: „Der könnte ich den Hals umdrehen…“ Aber es ist nicht das gleiche, die Person oder Angehörige ihrer Familie direkt und frontal anzugehen, wenn es dann noch telefonisch oder anonym erfolgt. Das dürfen wir nicht hinnehmen, was immer auch am Anfang gesagt worden ist.

Und doch hat meine Betroffenheit noch eine zweite Ebene. Ich will damit die Drohungen weder banalisieren noch verharmlosen. Aber sie sind für mich – bei aller Unentschuldbarkeit – auch ein Signal für die grosse Verzweiflung und die tiefe Verletzung von Menschen, die ihr Leben lang, seit frühester Kindheit wegen ihres Übergewichts verlacht, ausgegrenzt und gedemütigt worden sind, die Spott und Häme einstecken mussten und immer wieder gegen sich selber angekämpft haben, allenfalls von wohlmeinenden Ratschlägen begleitet, aber letztlich doch ohne Erfolg.

Sich nach einer solchen Leidensgeschichte vorhalten lassen zu müssen, man habe seine Situation mutwillig selber verschuldet und solle dafür zur Kasse gebeten werden, das schmezt und löst Wut aus, die sich nur schwer kontrollieren lässt. Ich bedauere, dass es zu Drohungen gekommen ist, aber ich kann die Emotionen nachvollziehen, die dahinter stehen.

Angesichts dieser lebensbedrohenden Auseinandersetzung kam es mir dann wie der blankste Zynismus vor, als ich am späten Abend auf dem TV-Sender Kabel 1 die Dokumentation vom „grossen Fressen“ gesehen habe: ein Lokal, das darauf spezialisiert ist, bis zu zwei Kilo schwere Wiener Schnitzel zu braten, anderthalb Kilo schwere Steaks, ein Kilo schwere Hamburger… und wo bis zu tausend Gäste täglich diese Riesenportionen in sich hineinstopfen, bis ihnen schlecht wird. Hier müsste ein alttestamentarischer Racheengel – meinetwegen im Ruth Humbel-Kostüm – mit dem flammenden Schwert einfahren und die sich der Völlerei dergestalt Hingebenden zur Räson bringen… aber der TV-Blick auf die Szene zeigt: es sind nicht die Dicken, die hier so speisen, sondern zu allermeist Leute, die aussehen, als wären sie normalgewichtig… einstweilen noch.




26/5  Scheinadipös?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:13

Da ich am Dienstagabend in der Regel mit Freund Rolf in der Wassergymnastik und anschliessend beim Bierchen bin, habe ich unter der Woche kaum eine Chance, mir den Kassensturz zu Gemüte zu führen. So habe ich denn heute erst in der Wiederholung gesehen, wie Frau Humbel ihre unsägliche Forderung nach höherem Selbstbehalt für Adipöse unbeirrt weiter verteidigt hat. Zum Schluss der Sendung wurde das Resultat der TED-Umfrage mitgeteilt. Gerade schlappe 24 Prozent teilten ihre Auffassung, zwei Drittel aller Abstimmenden lehnten eine Diskriminierung der Übergewichtigen klar ab. Ein erfreuliches Resultat, das uns hoffen lässt. Liebe PolitikerInnen, vergesst die Fakten nicht: wenn die Dicken eine politische Partei wären, dann hätten wir – vom Wähleranteil her – Anrecht auf zwei Bundesratssitze. (Es ist zudem interessant, die Feedbacks zu lesen, die im Kassentsurz-Forum zum Thema eingegangen sind; bis jetzt sind es 134.)

Aber vielleicht ist dieser ganze Auftritt nichts anderes als Vorwahlgeplänkel, um ein wenig in die Medien zu kommen. Was dem einen sein Kuhdreck, sind der andern die Fetten. Funktioniert hat es jedenfalls. Am Ende kommt uns eine der Parteien noch mit den Scheinadipösen, wenn ihnen sonst nichts mehr einfällt. Dann gut Nacht.




25/5  Eglisau (7/12) und ich…

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:33

Zugegeben, über sich selber zu schreiben ist nicht jedermanns Sache. Früher galt bei altgedienten Journallisten noch der Brauch, von sich selber als „der Schreibende“ zu schreiben, um das identitätsstiftende Fürwort „Ich“ zu vermeiden. Man wolle sich nicht wichtig machen, sagte man, und flüchtete sich in eine Floskel, die zunehmend verstaubt und antiquiert wirkte.

Dies gilt allerdings nicht für all jene, die schon zu Lebzeiten ihre Autobiografie schreiben oder schreiben lassen. So quasi eine vorgezogene Baschisierung des banalen Daseins, für das allerdings die kleinen Baschis oder Paris Hiltons weit weniger Verantwortung tragen als jene Treuhänder der Information, die sich der Berichterstattung schuldig machen.

Gut, aber jetzt zurück nach Eglisau. Das Interessante an dieser einen Ausgabe Nummer 7 ist oder war, dass ich, weil ich zwei Tage lang dabei war, Dinge weiss und kenne, die in der Sendung gar nicht vorkommen. Oder von denen nur ein kleiner, redaktionall gestalteter Ausschnitt zu sehen ist. Ein Müsterchen quasi aus einem viel grösseren Volumen, Rosinen gewissermassen, herausgepickt aus dem Kuchenteig. Und das hat mich fasziniert.

Insgesamt haben wir wohl fünf Stunden Material aufgenommen, in der Migros-Filiale vor den Regalen mit dem grössten Versuchungspotenzial, hoch über dem Städtchen in den Reben, im gemütlichen Café neben der Konditorei und zuletzt im Kreise sitzend in einem Freizeit- und Partyraum. Und die Redaktion hat es verstanden, aus dieser schier unübersichtlichen Fülle von Aussagen, Fragen, Antworten und vor allem Bildern eine Auswahl zu treffen, die in sich stimmig ist und eine wahrhaftige Wiedergabe der Inhalte vermittelt, die wir „produziert“ haben.

Dafür möchte ich der Crew hier ein Kompliment machen, denn auch sie steht unter dem enormen Erfolgsdruck, dass sie Woche für Woche eine Sendung abliefern muss, die interessiert, die den Erwartungen des Publikums gerecht wird die auch die Menschen in Eglisau ins rechte Licht rückt. Dass dies wöchentlich gelingt, das ist nicht selbstverständlich und darf auch mal anerkannt werden.